Obernkirchen. Angesichts des anhaltenden Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland und der Verteilung dieser Menschen auf die Kommunen, haben die Städte und Gemeinden zunehmend Probleme, geeignete Unterkünfte für die Flüchtlinge bereitzustellen. Nicht mehr ausgeschlossen ist, dass in Obernkirchen demnächst auch Turnhallen als Massenunterkünfte zweckentfremdet werden müssen, um den zugewiesenen Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen.
Wenn die „Zuzugszahlen“ nicht merklich sinken, werde man auf diese Objekte zurückgreifen müssen, formulierte es Bürgermeister Oliver Schäfer in einem zum Jahresanfang mit unserer Zeitung geführten Pressegespräch. Grund, hierzu einige der in der Bergstadt ansässigen Vereine zu befragen.
Er habe die Aussage des Verwaltungschefs „mit extremer Begeisterung“ gelesen, sagt Kurt Otto, der Vorsitzende des MTV Obernkirchen, mit ironischem Unterton. Sollte der MTV nämlich für längere Zeit keine Hallenzeiten mehr haben, könnte dies die Existenz des aktuell 500 Mitglieder zählenden Traditionsvereins bedrohen. Denn von der im Freien trainierenden Radsportsparte abgesehen, sei das Sportangebot des MTV zu „100 Prozent hallenlastig“, wobei sowohl die Grundschulturnhalle als auch die Kreissporthalle genutzt werden. Und wenn die Mitglieder wegen der Unterbringung von Flüchtlingen in den Turnhallen keinen Sport mehr treiben können, sei es nur eine Frage der Zeit, wann sie austreten.
Probleme sieht Otto auch für die Handballsparte des MTV, insbesondere deren in der Landesliga rangierenden 1. Herren-Mannschaft. Wenn deren Spieler nicht mehr regelmäßig trainieren können, werde sich das auf die Leistung der Mannschaft auswirken, erklärt er. Zudem stelle sich die Frage, wo die vom MTV auszurichtenden Landesliga-Heimspiele stattfinden sollen, wenn die Kreissporthalle nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Wobei auch seitens der Sponsoren ein gewisses Leistungsniveau erwartet werde – und dass die Heimspiele aus Werbegründen „vernünftig gestaltet“ werden.
Nicht zu vergessen die finanziellen Verpflichtungen des MTV: „Wenn keine Perspektive da ist, werden die Mitglieder keine Beiträge mehr zahlen wollen“, betont Otto. Sollte es daraufhin zu zahlreichen Austritten aus dem Verein und zu finanziellen Einbrüchen kommen, „weiß ich gar nicht, wie wir das alles bezahlen sollen“.
„Wir haben das Glück, dass wir nur wenige Hallenzeiten bekommen haben und deswegen andere Räume nutzen“, berichtet Wiebke Klapp, die Vorsitzende des Kneipp-Vereins (mehr als 800 Mitglieder). Insofern wäre die Unterbringung von Flüchtlingen in den Turnhallen für diesen Verein nicht existenziell. Für Angebote wie Badminton und Volleyball hätte man jedoch keine Alternativen. Allerdings gehe man davon aus, dass zunächst erst der am Bornemannplatz gelegene frühere Aldi-Markt als Massenunterkunft genutzt werde, bevor Turnhallen drankommen.
Gleichwohl: Wenn beide Turnhallen für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden sollten, wäre dies für die Vereine „eine Katastrophe“, sagt Klapp. Denn Obernkirchen biete sonst ja nicht viel. Von daher würde solch eine Maßnahme von der Bevölkerung „nicht positiv aufgefasst“ werden – vor allem, wenn die Turnhallen für einen längeren Zeitpunkt nicht mehr für Sport zur Verfügung stehen sollten.
In diesem Kontext stelle sich ihr die Frage, wie es bei einer Belegung der Turnhallen mit Flüchtlingen mit dem Schulsport weitergehen würde, der gesetzlich vorgeschriebenen sei, gibt Klapp zu bedenken. Mehr noch: Im Curriculum seien konkrete Unterrichtsinhalte verbindlich vorgegeben.
Besorgt zeigt sich auch Andreas Jürgens, der Vorsitzende des 400 Mitglieder zählenden SV Obernkirchen von 1920, der zwei Sportarten – Fußball und Tischtennis – im Programm hat und sowohl die Kreissporthalle als auch die Grundschulsporthalle nutzt: „Unsere Tischtennissparte würde es am härtesten treffen“, prognostiziert er. Diese Sportart könne man nicht draußen betreiben. Wenn der Verein aber „keinen Sportbetrieb mehr anbieten kann, könnte es mittelfristig Auswirkungen auf den Bestand der Sparte haben“. Ergänzend merkt er an, dass die Jugendabteilung der Fußballsparte zumindest im Winter ebenfalls in der Halle trainiert und dort auch Turniere austrägt.
Welche gesellschaftlichen Folgen die Zweckentfremdung der Turnhallen hätte? „Wenn kein (Sport-)Angebot mehr möglich ist, könnte ich mir schon vorstellen, dass der Eine oder Andere das auf die Flüchtlinge schiebt“, sagt Jürgens. „Die Akzeptanz gegenüber den Flüchtlingsströmen“ dürfte dadurch vermutlich „nicht besser“ werden. Gleichwohl: „Untergebracht werden müssen die Flüchtlinge ja auch irgendwie!“
„Wenn es nun mal so ist, ist das eben so“, kommentiert Olaf Quest, Chef des Kampfsportvereins Obernkirchen Raptors die mögliche Zweckentfremdung der Turnhallen. Zwar habe es einzelne Anfragen besorgter Mitglieder gegeben und auch im Vorstand habe man sich darüber unterhalten, „aber so lange das ungelegte Eier sind, spekuliere ich nicht groß“. Vielmehr beschäftige er sich dann mit Alternativen, wenn sich die Situation stellt. Zumal es, wenn es zum Verlust der Hallenzeiten kommen sollte, sicher eine „Gesamtlösung“ von kommunaler Seite gebe würde.
Außerdem: „Nur weil eine Halle geschlossen wird, heißt das ja nicht, dass das Vereinsleben brachliegt“, betont Quest. In solch einem Fall würden die Raptors jedenfalls „mit Sicherheit Leistungen anbieten“ – in welcher Form auch immer.
Zur Frage, wie sich die Zweckentfremdung der Turnhallen auf die Akzeptanz von Flüchtlingen auswirken würde: „Das kommt darauf an, wie ich als Verein das den Leuten verkaufe.“ In den 1990er Jahren habe man – auch im Sport – doch schon eine ähnliche Situation gehabt, als viele russische Spätaussiedler nach Deutschland gekommen seien. Damals habe es ebenfalls Vorbehalte wegen deren Mentalität und Glauben in der Bevölkerung gegeben, aber „da redet heute keiner mehr drüber“. Zumal die Spätaussiedler in der Rückschau ein Riesenpotenzial für die Sportvereine gewesen und viele von ihnen integriert seien.