Dass der Funke zwischen Nechaj und den Schülern trotz der Sprachbarriere und einer verständlichen Scheu schnell übersprang, lag vor allem an der betagten Autorin selbst. "Ich war auch einmal so jung und schön wie ihr", sagte sie scherzhaft und ermahnte die Schüler: "Nehmen Sie den Geschichtsunterricht ernst, ohne Geschichte lässt sich keine Zukunft aufbauen." Dass sich die Jugendlichen von der betagten Professorin gerne etwas sagen ließen, lag aber auch an der Biographie der 84-Jährigen. Nechaj erzählte den Zehntklässlern, wie sie als 18-Jährige den Krieg erlebte hatte und von den Ängsten, die die Nazi-Diktatur mit sich brachte. Die Jugendliche ("Ich war im gleichen Alter wie ihr"), hatte gerade erst geheiratet und verlor nach der Machtübernahme ihren eineinhalbjährigen Sohn. "Das ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann, ich konnte ihn nicht beschützen", sagte sie leise. Nach der Verhaftung durch die Nazis fürchtete sie jede Minute um ihr Leben, viele Gefangene wurden auch gefoltert. Als eines Tages der Wachmann mit dem Knüppel auf sie deutet, denkt sie: "Schluss, das war's." Statt aber zum "Seelentöter" geführt und in die "Gasmaschinen" gebracht zu werden, kommt sie in einen überfüllten Zug nach Deutschland. In dem fremden Land muss sie lange Zeit als Zwangsarbeiterin in Rüstungsbetrieben bei Berlin schuften.
Dass es Olga Nechaj trotz ihres toten Sohnes, der in den Wahnsinn getriebenen Mutter und eines bei den Partisanen gefallenen Ehemanns nicht aus der Bahn geworfen hat, ist wohl auch auf ihren "reichen Geist" und einen starken Willen zurückzuführen. Noch heute merkt man der Professorin eine große Lebenskraft an, die 84-Jährige lehrt immer noch an der Minsker Universität. Das schon vor einigen Jahren geschriebene und jetzt auf deutsch erschienen Buch (239
Seiten) ist nicht nur ein Zeugnis gegen das Vergessen, sondern gibt auch Einblicke in ein ungewöhnliches Leben.
Mit der Geschichtswerkstatt der Herderschule verbindet Frau Nechaj seit dem Jahr 2001 eine enge Beziehung. Damals startete die mehrfach ausgezeichnete Werkstatt das Projekt "Spuren suchen - Brücken bauen" - immerhin 10
000 Euro kamen dabei für die Selbsthilfeorganisation ehemaliger KZ-Insassen und Zwangsarbeiter zusammen. Auch in den folgenden Jahren hat die Geschichtswerkstatt ehemalige Zwangsarbeiter aus Belarus mit Spenden unterstützt ("Sponsorenläufe gegen das Vergessen", Gedenkveranstaltungen). Persönlich überbracht wurden die Gelder von Fritz Winkelhake, mit dem die Geschichtswerkstatt seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Im Juli 2007 fuhr der pensionierte Lehrer zum bisher letzten Mal nach Minsk, um sich mit den Vorständen der Selbsthilfeorganisationen ehemaliger KZ-Insassen und Zwangsarbeiter zu treffen.
"Geschichte ist nicht zuändern, deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Lehren ziehen", freute sich Schulleiterin Christiane Marx in ihrer Begrüßung über den Kurzbesuch der Weißrussin. Ein Hauptanliegen von Frau Nechaj sei es, die Erinnerung an das Gewesene wach zu halten und für Verständigung zwischen den Völkerneinzutreten. Marx: "Es ist absolut nicht selbstverständlich, dass Sie hier sind."
"Gedanken in Erinnerung an mein Leben" kostet etwa 10 Euro und kann unter dem Link
www.lulu.com/content/404768
bestellt werden.
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