Hameln.
Heinz-Walter Wiedbrauck, Vorstandschef der Volksbank Hameln-Stadthagen eG, ist für offene Worte bekannt. Bei der gestrigen Vertreterversammlung in der Hamelner
Rattenfängerhalle las er diesmal Unternehmen die Leviten, die "ihre Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagern" und "durch den Verkauf ihrer Produkte in Hochlohnländer, wie die Bundesrepublik Deutschland, ihre Marge exorbitant erhöhen".
Während Unternehmen und Institutionen, die hier bleiben wollten oder müssten, heimische Arbeitnehmer beschäftigten, für Kaufkraft sorgten "und zu alledem noch die hohen Soziallasten stemmen", betätigten sich "Unternehmen, die ihre Produktion in Billiglohnländer verlagern, als Trittbrettfahrer der deutschen und westeuropäischen Wirtschaft". Denn müssten diese Unternehmen ihre Produkte dort verkaufen, wo sie produzieren, "wäre die Gewinnmarge dahin". Gehe diese Entwicklung so weiter, "werden wir diese Art der Globalisierung mit massiven Abstrichen unseres Wohlstandes bezahlen müssen", warnte Wiedbrauck und forderte die Verbraucher auf, durch "selektives Kaufen die Großunternehmen und Kunden zum Umdenken" zu bewegen.
Klage führte Wiedbrauck auch über den Abbau von Arbeitsplätzen in der heimischen Region: "In den letzten zehn Jahren sind im Arbeitsagenturbezirk Hameln, zu dem die Landkreise Schaumburg, Hameln-Pyrmont, Holzminden und der Altkreis Springe gehören, fast 16
000 Arbeitsplätze verloren gegangen." Allein in Hameln betrage das Minus 3800 Stellen, im Raum Stadthagen 3300. Der daraus resultierende Rückgang der Kaufkraft schlage sich besonders im Einzelhandel nieder. "Fehlende Modernisierungs- und Erweiterungsinvestitionen sind die Folge." Insolvenzen im Handel und Handwerk sprächen hier eine deutliche Sprache.
Lobendäußerte sich Wiedbrauck vor den mehr als tausend Besuchern der Vertreterversammlung über Initiativen zum Abbau von Bürokratie, dessen Dickicht in Deutschland undurchdringlicher sei als in fast allen anderen Industrienationen. Der Landkreis Schaumburg gehe hier mit positivem Beispiel voran. SeitJahren setze sich Landrat Schöttelndreier für investi
tionswillige Unternehmen ein und helfe ihnen bei derÜberwindung bürokratischer Hürden.
Im Gegensatz zu ihren mittelständischen Kunden habe die Volksbank im Jahr 2005 weiter "kräftig investiert und modernisiert" und mehr als 1,3 Millionen Euro für den Ausbau der Hauptstelle Stadthagen sowie zwei Geschäftsstellen in Hessisch Oldendorf und Stadthagen und ein Telefon-Service-Center ausgegeben. Bei den 30 Geschäftsstellen müssten jedes Jahr zwei modernisiert werden, um keinen Investitionsstau aufkommen zu lassen.
Eine Geschichtsstunde mit optimistischem Ausblick lieferte Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seinem Vortrag über die "Globalisierung in Europa". "Im Alter meiner Enkel", so schloss er seinen Vortrag, hätte er "nie zu träumen gewagt, was wir erreicht haben". Der Blick des Alt-Bundespräsidenten ging zurück bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als Europa, aufgeteilt in zwei Hälften, am Rande seiner Handlungsfähigkeit war. Kurz skizzierte der 86-Jährige die Stationen auf dem Weg zur EU, dem heute weltgrößten Binnenmarkt, ließ die für Deutschland entscheidenden Entwicklungen Revue passieren.
Dass der Wettbewerb mit den neuen Mitgliedern der EU schärfer werde, gehöre zum Prinzip des Marktes. Die Unterschiede in den Arbeitskosten würden nicht auf Dauer so hoch bleiben, glaubt von Weizsäcker. Auch bei den Neuen in der EU würden die Löhne bald ansteigen. Das sei ja das Ziel des Beitritts zur EU gewesen: "Den Wohlstand auch in diesen Ländern steigen zu lassen." Das geschehe natürlich nicht plötzlich, "denn alles dauert seine Zeit". Und Deutschland profitiere von der Öffnung der Grenzen mit einem kräftigen Wachstum seiner Exporte.
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