Was ist denn das für ein seltsames Buch?“ Diese Frage begleitet mich auf fast jeder Seite, die ich staunend darin lese. Es geht um den Koran, das heilige Buch der Muslime, das ich zum ersten Mal in meinem Leben aufgeschlagen habe. Ich dachte, der Koran handelt von Mohammed, seinem Leben, seinen Gedanken und wie er zum Propheten wurde. Aber da ist keine zusammenhängende Geschichte, keine Erzählung darüber, wie im Islam alles begann und alles einmal enden wird.
Was ist denn das für ein seltsames Buch?“ Diese Frage begleitet mich auf fast jeder Seite, die ich staunend darin lese. Es geht um den Koran, das heilige Buch der Muslime, das ich zum ersten Mal in meinem Leben aufgeschlagen habe. Ich dachte, der Koran handelt von Mohammed, seinem Leben, seinen Gedanken und wie er zum Propheten wurde. Aber da ist keine zusammenhängende Geschichte, keine Erzählung darüber, wie im Islam alles begann und alles einmal enden wird.
Stattdessen wird man mitten hineingestürzt in leidenschaftliche Predigten, die sich alle irgendwie auf das stützen, was man bereits aus dem Alten Testament kennt. Wie liest man den Koran, wie soll man ihn verstehen, das frage ich zwei Männer, die es wissen müssen.
Der Erste ist Sevket Kismet aus dem Vorstand der islamischen Gemeinde Rintelns, dazu Pressesprecher für Niedersachsen in der IGMG, der zweitgrößten muslimischen Religionsgemeinschaft Deutschlands, und „Bildungsdirektor“ in der Koranschule der Hamelner Islamischen Gemeinde. Zum zweiten Ansprechpartner wähle ich den Rintelner Bernhard Priesmeier (65), der mit 15 Jahren zum Islam konvertierte und sich sein Leben lang auch journalistisch intensiv mit dem Islam und dem Koran auseinandersetzt. Beide verstehen meine Irritation, und beide stellen schnell klar, was ich wissen muss, um mich diesem heiligen Buch angemessen annähern zu können.
„Der Koran ist ein Buch der Regeln“, sagt etwa Sevket Kismet. „Er ist kein Buch der Geschichten, sondern eine Art Gesetzbuch, aus dem wir entnehmen können, was richtig und was falsch ist.“ Und Bernhard Priesmeier erläutert: „Der Koran ist in vieler Hinsicht eine Anleitung für den Gläubigen, wie er glauben und handeln soll. Dabei setzt er die Überlieferungen vor allem des Alten Testamentes voraus, er kommentiert sie und stellt sie an vielen Stellen richtig. Deshalb ist er, anders als die Bibel, nicht historisch orientiert und nicht systematisch geordnet. Es hat wenig Sinn, das Buch einfach so von vorne nach hinten zu lesen.“
Tatsächlich hat mich vor allem das scheinbare Durcheinander der einzelnen Koranabschnitte, der Suren, verwirrt. Mohammed, der letzte und größte Prophet und Verkünder der Botschaft des Korans, er erfuhr Gottes Wort durch Offenbarungen. Der Erzengel Gabriel, von Gott geschickt, schrieb ihm die Worte direkt ins Herz. Da Mohammed nicht schreiben konnte, rezitierte er Gottes Wort, wortwörtlich so, wie es ihm eingebrannt wurde. Dem unbedarften Leser kann es so vorkommen, als seien alle diese Rezitationen wild durcheinander geworfen, wie eine Tonaufnahme, die zerschnitten und neu zusammengesetzt wurde.
Ihm sei es anfangs nicht viel anders ergangen, sagt Bernhard Priesmeier. Er habe sich dann aber am Inhaltsregister orientiert und erst mal alles gelesen, was im Koran zur Rolle von Christus gesagt wird. Allmählich habe er erkannt, wie eng verwandt Islam, Christentum und Judentum sind, als monotheistische Religionen, die sich alle auf die Thora, das Alte Testament, stützen und vom gemeinsamen Stammvater Abraham ausgehen. „Mich hatte schon als Junge irritiert, dass es in der Bibel von Christus heißt: ’Niemand kommt zum Vater denn durch mich‘. Warum diese Ausschließlichkeit? Alle Religionen stammen doch aus einer Quelle.“
Genau dieser Punkt ist auch für Sevket Kismet von größter Bedeutung. Er kennt die Bibel und natürlich die Erlöserrolle, die das Neue Testament Jesus Christus als Gottes Sohn zuschreibt. Der Koran spreche mit höchster Achtung von „Isa“. Er sei der vorletzte von insgesamt 25 Propheten, durchaus von Gott gesandt, aber keinesfalls Gottes Sohn und einziger Weg zu Gott. „Gott ist der eine allmächtige Gott“, sagt er. „Darum geht es im Koran. Er kann keinen Sohn haben, und schon gar nicht würde er zulassen, dass sein Sohn getötet wird.“
In Abgrenzung von den damals zeitgenössischen Juden und Christen enthält der Koran unzählige Textstellen, in denen er die biblische Überlieferung aufgreift und korrigiert. Die Geschichten von Mose, David, Jakob oder auch darüber, dass Abraham bereit war, seinen Sohn zu opfern, sie erwähnt Mohammed nicht deshalb, um sie allererst unter noch ahnungslose Menschen zu bringen, sondern um sie richtig zu stellen. „Mohammed hat weitergetragen, was Gott uns Menschen wirklich sagen will“, so Sevket Kismet. „Er hat sich, anders als Juden und Christen, nicht auf menschliche Erzählungen gestützt, die oftmals verfälscht wurden, sondern er ist der direkte Sprecher Gottes.“
Ich stelle mir vor, wie es damals im sechsten Jahrhundert war, als der Kaufmann Mohammed, in Mekka lebend, sich zunehmend für „den einen Gott“ interessierte. In seiner Umgebung lebten überwiegend Menschen, die unterschiedlichen Gottheiten Opfer darbrachten, und es lebten da einige Juden und Christen, die ihren einzigen, unsichtbaren, allmächtigen Schöpfergott verehrten. Vielleicht war es so, dass Mohammed seinen eigenen Leuten und in der Stadt von diesem einen Gott erzählte, charismatisch und begeisternd und damit die Aufmerksamkeit auch der Juden und Christen erregend, die aber fanden, er erzähle von Gottes Wort nicht so, wie es sein müsste.
Mohammed kannte
die Bibel nur aus mündlicher Überlieferung
Mohammed kannte die Bibel nicht direkt, er verließ sich auf mündliche Überlieferungen, und in den Augen der anderen Bibelgläubigen brachte er dabei einiges durcheinander. Verfolgt wurde er von denjenigen Einwohnern Mekkas, die seine Angriffe auf den Polytheismus nicht mehr dulden wollten. In Rechtfertigungsnot aber kam er, so stelle ich es mir vor, weil auch die Monotheisten ihm nicht folgten. Da dann erschien ihm der Erzengel Gabriel und verkündete ihm die einzige, unverfälschte, unanfechtbare Wahrheit.
Sevket Kismet lächelt milde, als ich so mit ihm rede und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wir sind alle Menschen“, sagt er. „Wir alle sind Adams und Evas Kinder. Jeder Mensch ist frei darin, zu glauben oder nicht zu glauben. Von mir aus jedenfalls zählen nicht Nationalitäten und Religionen. Es zählt nur, dass wir alle dieselben Wurzeln haben.“ Er glaube an Gott, den einen, und daran, dass es Paradies und Hölle gibt. „Jeder Mensch muss wissen, welchen Weg er wählt, niemand kann gezwungen werden“, sagt er. „Für mich gibt der Koran vor, wie ich leben soll, um den richtigen Weg zu gehen.“
Was den richtigen Weg betrifft, und die Gesetze des Zusammenlebens, die man befolgen soll, da unterscheidet sich der Koran kaum vom Alten Testament. Die Nächstenliebe steht hier wie da ganz oben, und das freigiebige Mitgefühl mit den Armen und Schwachen. Die Beschneidung der Jungen wird gefordert und, wie im Alten Testamen, als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Menschen gesehen. Auch die Speisevorschriften sind fast identisch, ebenso wie Gesetze, die gerechte Schlichtungen bei Streitfällen ermöglichen sollen.
„Die Bergpredigt allerdings kommt im Koran nicht vor“, sagt Bernhard Priesmeier. „Aber Gott belohnt die Überwindung des Bösen durch das Gute.“ Priesmeier gehört zu den Aleviten, und dem entsprechend liegt sein Glaubensschwerpunkt in der durch Liebe geprägten Beziehung zwischen Mensch und Gott. „Alevitentum, das ist eine spirituelle Lehre, die aus dem Islam hervorgeht“, sagt er weiter. „Der Urgrund, das Ziel besteht darin, das eigene Ego zu überwinden und sich dem großen, kosmischen Bewusstsein anzunähern.“ In diesem Sinne lese er den Koran.
Als Alevit hat Bernhard Priesmeier es etwas leichter mit den schwierigen Textstellen des heiligen Buches, denjenigen, wo es um Krieg und Gewalt geht und den Kampf gegen „Ungläubige“. Priesmeier versteht diese Passagen aus ihrem historischen Kontext heraus. Gewalt spielt auch in der Bibel eine große Rolle, immer da, wo das Volk Israel sich gegen seine Feinde behaupten muss, mit Gott an seiner Seite. Mohammed erging es da nicht anders, auch er spornte seine Männer an, ohne Mitleid mit dem Feind um den Sieg zu kämpfen.
Kaum ein gläubiger Moslem identifiziert sich mit diesen Textstellen, genau so wenig, wie Christen sich mit entsprechenden Stellen des Alten Testamentes identifizieren. Doch als streng gläubiger Moslem ist da die Hürde, dass der Koran Gottes unmittelbares, immer gültiges Wort darstellt. Dieses Thema vertiefe ich nicht mit Sevket Kismet. „Man muss beide Seiten Mohammeds sehen“, sagt er. „Es gibt Gutes und es gibt Böses in jedem Leben. Jeder muss selbst denken, selbst herausfinden, was gut ist und was schlecht. Das kann einem keiner abnehmen.“
Bernhard Priesmeier gibt mir noch eines zu bedenken: „Es ist was ganz anderes, den Koran als arabisch-sprachiger Moslem zu lesen“, sagt er. „In den wenigsten Übersetzungen kommt die vorbildliche Schönheit der Sprache dieses Buches zur Geltung, die klangvollen Reime, die Schwingungen des rezitierten Textes, die sich auf die Grundstimmung auswirken.“ Der Koran sei nicht das meistgedruckte Buch der Welt, sicherlich aber das meist gehörte. Ihn vorurteilsfrei zu rezipieren, könne in jedem Fall eine große Bereicherung sein. Und: Vorher eine solide Einführung zu studieren, das rate er jedem Nicht-Moslem an, um nicht im vorschnellen Urteil stehen zu bleiben.
Den Koran ohne Einführung zu lesen, kann schwierig sein. Das heilige Buch bezieht sich in vielen Punkten auf das Alte Testament und ist im Gegensatz zu den heiligen Schriften der Juden und Christen nicht chronologisch
geordnet. Unsere Autorin Cornelia Kurth hat den Koran zum ersten Mal gelesen und Experten dazu befragt.
Der Koran ist das heilige Buch der Muslime. dpa