Löns war nicht der Einzige, der damals auf dem Papenbrink ins Schwärmen geriet. Spätestens seit Gründung des Kaiserreichs im Jahre 1870 hatte viele Deutsche eine Art patriotischer Identitäts-Suche erfasst. Besonders angesagt war die Entdeckung von Natur, Landschaft und Volkes Kunde. Als eines der größten Vergnügen galt das „erbauliche Weilen in luftigen Höhen“. Vielerorts wurden Wanderwege, Ausflugslokale, Schutzhütten, Aussichtskanzeln und Aussichtstürme gebaut. In Rinteln kümmerte sich der 1878 gegründete Verschönerungsverein mit großem Elan um die Befriedigung der Höhensehnsucht. In Bückeburg wurde dazu extra ein Gebirgsverein aus der Taufe gehoben.
Beide Honoratioren-Klubs arbeiteten bei der Erkundung und Erschließung der heimischen Wesergebirgserhebungen – über die Landesgrenze hinweg – eng zusammen. Treibende Kraft im preußischen Rinteln war Apotheker Hermann Opitz. Bei den schaumburg-lippischen Gebirgsfreunden hatte dessen Berufskollege Georg König, Inhaber der Bückeburger Hofapotheke, das Sagen. Opitz und seine Freunde nahmen sich zunächst ihren zwischen Weserufer und Luhden gelegenen „Hausberg“ vor. Das Ergebnis konnte und kann sich auch heute noch sehen lassen: 1889 wurde auf der höchsten Spitze ein stattlicher „Klippenturm“ errichtet, und im Jahre 1907 das Ausflugslokal „Waldkater“ eingeweiht.
Die Bückeburger hatten von Anfang an den Papenbrink im Visier. Für die örtliche Honoratiorenschaft gehörte ein sonntäglicher Aufstieg zum Pflichtprogramm. Oben angekommen, ließ man sich von schwärmerischen und stark vaterländisch geprägten Gefühlen übermannen. Um die Sache auch bei Sturm und Regen auskosten zu können, gaben Georg König und seine Freunde 1892 den Bau einer Schutzhütte in Auftrag. Der barackenförmige Holzunterstand wurde nach dem Hauptgeldgeber „Melchershütte“ getauft. Melchers stammte aus Bückeburg und hatte es in Bremen zu Wohlstand und zum Ehrentitel „Konsul“ gebracht. Die Hütte zerfiel jedoch bald. An ihrer Stelle wurde 1910 ein neues, stabiles Steingipfelhaus errichtet. Das meiste Geld steuerte Vereinsvorsitzender König aus seiner Privatschatulle bei. Zur Überwachung, Pflege und Betreuung des Sandsteinbaus hatten sich zuvor die Rintelner bereit erklärt. König widmete seine Stiftung den beiden von ihm hoch verehrten Idolen Bismarck und Luther. So kommt es, dass in alten Karten gelegentlich noch der Name „Lutherstein“ auftaucht. Heute ist fast nur noch von „Königshütte“ die Rede.
Die Papenbrink-Begeisterung der Bückeburger ist aus heutiger Sicht nur schwerlich nachzuempfinden. Hauptbeweggründe dürften die großartige Fernsicht, das auffällige Erscheinungsbild und das sagenumwobene Drumherum der kegelförmigen Anhöhe gewesen sein. In der Tat hatte der Papenbrink diesbezüglich einiges zu bieten. Der Gipfel-Rundumblick war kaum zu toppen. Nach Süden und Westen sah man weit in Lipperland und Wesertal hinein. Zur anderen Seite konnte man das Steinhuder Meer erkennen. Die heute als hässliche Abbrüche weithin sichtbaren Verletzungen durch Autobahnbau, Gesteinsabsprengungen und Sandabgrabungen gab es noch nicht. Die nach allen Seiten gleichmäßig abfallenden Hänge endeten in unberührten Kerbtälern – wobei „Hacksgrund“ (Hacks gleich Eichelhäher) und „Uhlengrund“ (Uhlen gleich Eulen) wegen ihrer landschaftlichen Reize und der Bedeutung als Grenzplätze und Quellgebiete von Mühlen- und Schermbeeke eine Sonderstellung einnahmen.
Hermann Löns hatte für die Faszination des Berges noch eine weitere Erklärung parat: „Das macht, weil sein gewaltiger Kopf kahl ist.“ Anders gesagt: Der Papenbrink war die einzige Erhebung weit und breit, die unbewaldet war. Nach Ansicht des schreibenden Naturliebhabers machte ihn das besonders erhaben. „Mögen die anderen Berge rechts und links ihm mit dem Brausen ihrer Waldwipfel höhnen, es rührt ihn nicht. Er ist frei, sie sind Knechte.“ Was Löns nicht wusste: Bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts war auch der Papenbrink noch mit Hudewald (Hude gleich Weide) bewachsen gewesen. Dann wurde aufgrund fragwürdiger Verkaufsabsprachen radikal abgeholzt. Der heutige Baumbestand stammt aus 1934/35.
Geblieben sind bis heute die alten Legenden und Geschichten. Die eigenwilligste und ungewöhnlichste ist die vom Kampf zwischen Papen und Düwel (siehe „Zum Thema“). Die Quelle, von der darin die Rede ist, ist noch heute als „Düwelsborn“ (Teufelsquelle) bekannt. Nach Auffassung von Volkskundlern könnten der inhaltliche Kern und die Entstehungsgeschichte der Sage auf die gewaltsame Christianisierung der hierzulande lebenden Sachsen zurückgehen. Die vor gut 1000 Jahren nicht selten unter Zwang durchgeführten Taufen wurden von den fränkischen Eroberern gern und oft an den bei den Ureinwohnern als heilig geltenden Quellen vorgenommen. Ob – wie oftmals zu hören – der Name „Papenbrink“ mit der Düwelsborn-Sage zu tun hat, erscheint eher zweifelhaft. Der Begriff „Pope“ oder „Pape“ kommt in alten Flurnamen häufiger vor. Er weist das Land als ehemals kirchlich-päpstlichen Grundbesitz aus. Die Anhöhe zwischen Klei-nenbremen und Todenmann gehörte einst dem Mindener Bischof.
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