Rinteln.
Der 30. April ist traditionell ein Tag der schlechten Nachrichten, jedenfalls dann, wenn man ein Schüler ist und es mit den Zensuren nicht gerade rosig aussieht. Dann nämlich erhalten die Eltern einen Brief von der Schule mit der Warnung: "Versetzung gefährdet!"
Einen blauen Umschlag, wie früher, hat dieser Brief längst nicht mehr, aber wie eh und je verursacht er oft Angst und Schrecken. "Mein Sohn hat geweint und war vollkommen schockiert", erzählt ein betroffener Vater.
Bevor dieser offizielle Brief von der Schule kam, hatte der Fünftklässler sich immer eingeredet, dass es in Wirklichkeit gar nicht so schlimm stehe. "Und uns Eltern wollte er sowieso nie glauben." In der Warnung nun aber stand ganz offiziell: Deutsch 5 und Mathe 5. Das war deutlich, schrecklich und im ersten Moment fast so schlimm wie das Sitzenbleiben selber.
Überhaupt fließen nach Erhalt einer solchen Warnung ziemlich oft die Tränen. So einen Schuss vor den Bug bekommen ja nur solche Schüler, die nicht bereits im Halbjahreszeugnis darauf hingewiesen wurden, dass ihre Versetzung gefährdet ist. Die meisten von ihnen hatten einfach gehofft, trotz schlechter gewordenen Zensuren irgendwie ungeschoren davon zu kommen.
Mit diesem Selbstbetrug macht die Warnung Schluss: Alle Fachlehrer haben gewissenhaft jede gefährliche Zensurenveränderung in eine vom Klassenlehrer ausgelegte Liste eingetragen. "Aber es bleibt auch noch Zeit zum Handeln", sagt Reinhold Lüthen, Schulleiter am Gymnasium Ernestinum. "Unsere Briefe sind ja gleichzeitig eine Aufforderung, mit den Lehrern zu sprechen und gemeinsam möglichst zu verhindern, dass jemand eine Klasse wiederholen muss." Genau deshalb hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Eltern bis spätestens zum 30. April informiert sein müssen. Wer jetzt keinen "blauen Brief" bekommen hat, der kriegt auch keinen mehr (es sei denn, dass, für extreme Ausnahmen, der letzte Termin 4 Wochen vor den Zeugniskonferenzen wahrgenommen würde).
Und tatsächlich rütteln die Mahnungen auf und wecken bei den meisten Schülern starke Kräfte. "Meine Tochter bekam jedes Jahr einen Brief und es jedes Jahr schaffte sie es, versetzt zu werden", sagt eine Mutter. Und eine andere: "Unser Sohn hat nach dem Brief zum ersten Mal richtig etwas für die Schulegetan und dabei gemerkt, dass er das kann!" Oft wird klar, dass ein Schüler eine Zeitlang unterstützende Nachhilfe braucht, um wieder in einen guten Rhythmus zu kommen, und ebenso oft wendet sich das Blatt allein schon dadurch, dass die Schularbeiten gemacht und die Vokabeln gelernt werden.
So bleiben nur wenige der zum 30. April gewarnten Kinder auch wirklich sitzen. "Und wir wollen auch nicht, dass Kinder eine Klasse wiederholen müssen", so Lüthen. "Wir wollen das Gegenteil." So wird bereits vor den Zeugniskonferenzen ausführlich über gefährdete Schüler gesprochen und erwogen, ob schlechte Noten durch gute Noten in anderen Fächern ausgeglichen werden können.
Sollte sich aber in den letzten beiden Monaten vor den Sommerferien herausstellen, dass ein Schüler seine Defizite nicht aufholen kann, dann wird er nicht einfach seinem Schicksal überlassen. "Niemand wird ja davon überrascht, dass er sitzenbleibt", betont auch Oberstufenkoordinator Michael Pavel. "Normalerweise wurde alles so hin und her durchgesprochen, dass man schließlich sogar zu einem gegenseitigen Einverständnis kommt." Manchmal geht es auch darum, ob es nicht besser wäre, das Kind würde die Schulform wechseln. Wenn es kurz vor Ende der sechsten Klasse am Gymnasium all zu hoffnungslos aussieht, dann kann die Lehrerkonferenz die Überweisung an Real- oder Hauptschule beschließen - auch darüber wird im Warnungsbrief informiert. Schon manches unglückliche Kind wurde dadurch wieder ins Gleichgewicht gebracht.
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