Rodenberg (tes).
"Endlich hat es mal einer aufgedeckt", lobte Sabine Ribbentrop den "super mutigen" Schritt von Carola Günther, sich mit der Leidensgeschichte ihres Sohnes Daniel (13) an die Zeitung zu wenden. Das sei genau der richtige Weg gewesen, sonst würden die Quälereien kein Ende finden, waren sich die betroffenen Eltern im gemeinsamen Gespräch einig. Die Mütter können es beurteilen: Sie haben ihre Söhne wegen der Zustände von der Schule genommen. Oder ihr Kind war vor Daniel ein Opfer der gewalttätigen Mädchen. Die abgedruckten bösen Erfahrungen von Daniel haben sie ermutigt, sich ebenfalls zu melden, ihre Erfahrungen auszutauschen und aktiv zu werden.
Die Zustände in der sechsten Hauptschulklasse ein Einzelfall? "Das kann nicht sein", widerlegt Ribbentrop die offiziellen Aussagen. Sie habe ihren elfjährigen Sohn bereits drei Wochen vor dem Bericht von der Schule genommen. Innerhalb von vier Tagen seien mit Henrik Reimann und Mario Dreyer zwei weitere Schüler allein aus dieser fünften Realschulklasse gefolgt. "Viele planen, die Schule im Sommer zu verlassen", habe sie erfahren. "Wir haben auch überlegt, die Presse einzuschalten", teilte Ribbentrop im Namen von Gaby Reimann und Stefanie Dreyer mit. Jetzt unterstützen sie Carola Günther und betonen: "Daniel ist mit seinen Erlebnissen nicht allein."
Mehr noch: Die Probleme sind nicht auf seine sechste Klasse Hauptschule beschränkt. In der Außenstelle, in der die fünften und sechsten Klassen der Haupt- und Realschule untergebracht sind, entstünden immer neue Konflikte. Schulleiter Horst Asche sei nur ein Mal in der Woche in der Außenstelle, so Ribbentrop: "Der kriegt nicht mit, was da abgeht."
Das bestätigte Kirsten Fricke, Elternsprecherin der Parallelklasse von Daniel. Seit Anfang der fünften Klasse sei die Situation so prekär. "Meine Tochter ist ebenfalls von den beiden muslimischen Mädchen angegriffen worden", berichtete die Mutter. Wie Daniel habe Sarah mit Kopf- und Magenschmerzen reagiert und hatte Angst vor der Schule. Eines Tages sei sie weinend nach Hause gekommen, weil die Mädchen sie die Treppe hinuntergeworfen haben.
Besonders gemein: Sarah leidet an Epilepsie. In den Hauptfächern unterstützt sie eine Schulbegleiterin. In einem unbeobachteten Moment haben die Täterinnen sie erwischt. "Ich musste Schläge einstecken", habe ihre Tochter gesagt und sofort Hilfe gesucht. Wie Daniel sagte sie: "Wenn ich mich wehre, kommen noch mehr." Schon im vergangenen Jahr informierte Fricke den Schulleiter. Am Verhalten der beiden Täterinnen änderte das nichts. "Mit Daniel haben sie sich ein anderes Opfer gesucht." Sie hofft, dass sie sich nicht wieder ihre Tochter vornehmen.
"In jeder Schule gibt es Konflikte", ist Ribbentrop nicht erst durch die Presseberichte klar. Aber in der Stadtschule werde nicht darauf eingegangen: "Die tun so, als wäre nichts." Spätestens als einer der Klassenkameraden ihres Sohnes derart schwer verprügelt worden sei, dass er davonlief und nicht wiederkam, hat Ribbentrop gewusst: "Hier muss was passieren, das kann man nicht mehr unter den Teppich kehren." Mit dem Kommentar "nur Schlägertypen da" weigerte sich Marco, wieder in diese Schule zu gehen. Wie Günther habe sie auf einem Elternabend bestanden, aber "die Resonanz war traurig". Die Täter seien verschont worden, um das Opfer nicht erneut Schlägen auszusetzen. Die Kinder berichteten zudem, dass oft eine Pausenaufsicht fehle. Geschichten von der Stadtschule habe sie in Rodenberg viele gehört. Aber seit ihr Sohn da war, wisse sie: "Es ist schlimmer als schlimm. Marco hat da nichts gelernt und ewig lange keine Schulbücher bekommen."
"Bei meiner Tochter fällt Bio ständig aus", stimmte Fricke zu. Wie in der sechsten gebe es auch in der fünften Klasse eine hohe Lehrer-Fluktuation: "Der vierte Deutschlehrer in einem Jahr", so Ribbentrop. Die Kinder müssten sich immer auf neue Lehrer einstellen. Kontinuität? Fehlanzeige. Unruhe und Dauerlärm seien die Folge. "Es wird mit Tischen und Stühlen geworfen", sagte Günther. Der Lärm sei in der Parallelklasse direkt darunter nicht zu überhören, weiß Fricke von ihrer Tochter. "Die Schüler rennen zwischen den Klassen hin und her und werfen brennende Papierfetzen aus dem Fenster."
Wie in Daniels Klasse hätten in der Klasse ihres Sohnes sieben bis acht Kinder permanent gestört, berichtete Marcos Mutter. Bis der Unterricht anfangen konnte, habe es ebenfalls 20 Minuten gedauert. Wie Günther sei sie während des Unterrichts Zeuge vom rauen Umgangston in der Schule geworden: "Wenn Lehrer mit ?Haltdie Schnauze' die Schüler zur Ruhe bringen wollen", zeige das: "Die Lehrer sind alle völlig fertig mit der Klasse", bestätigte sie die Erfahrung der Mütter aus der sechsten Klasse. Das Projekt "störungsfreier Unterricht" sei gescheitert, weil die Lehrer die Störenfriede nicht wie abgesprochenin den Ruheraum geschickt haben - oder die Kinder haben nicht auf die Lehrer gehört." Es fehle an Autorität. Ihr Eindruck: "Die Lehrer sind selber hilflos." Als Marco einer Lehrerin gesagthabe, er verlässt die Schule, habe diese ihm geantwortet, dass sie auch geht.
Ribbentrop, selber gelernte Erzieherin und Vertretungslehrerin in Lauenau, hatte angesichts der Probleme angeboten, die Lehrerin im Unterricht zu unterstützen. "Doch die Lehrerin hatte Angst, dass noch mehr Unruhe in die Klasse kommt." Aber: "Es kann nicht sein, dass elfjährige Kinder die Lehrer tyrannisieren." Keiner fühle sich verantwortlich. Es würden AG's angeboten, "die Kinder freuen sich, und dann wird es kurz zuvor abgesagt, weil die Lehrer fehlen", schilderte Ribbentrop. Für die Schüler aus Lauenau bedeute das zudem: Der Bus ist weg.
Für Daniel hat sich die Lage bereits etwas verbessert: Er findet es "cool", dass es schon ruhiger geworden ist in seiner Klasse. In den letzten Tagen vor den Ferien habe er zwei Einser nach Hause gebracht, und die Hausaufgaben mache er jetzt immer. Seine Mutter schöpft Hoffnung: "Er merkt, dass endlich was passiert."
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