Über eine Stunde brauste der Beifall, als Luciano Pavarotti 1988 in der Deutschen Oper Berlin den „Liebestrank“ gesungen hatte – ein Rekord des kollektiven Beifallklatschens zu einem Kulturereignis. Dabei sind ja bereits zehn Minuten Applaus etwas Besonderes und – bei aller Freude, die darin zum Ausdruck kommt – durchaus anstrengend für die Beteiligten. Normalerweise gibt es eine „Applausordnung“, die unter anderem dafür sorgt, dass alle wissen, wann es jetzt genug sein darf oder soll mit dem Jubel. Im Rintelner Brückentorsaal aber, wo kürzlich junge Flüchtlinge mit einem Regisseur aus dem Irak ein grandioses Stück aufführten, kam es am Ende zu einer lustigen Szenerie: Die Zuschauer klatschten im Stehen, auf der Bühne standen die Schauspieler, ebenfalls minutenlang klatschend, und keiner wusste so richtig, wie man damit zu einem Ende kommen sollte.
Über eine Stunde brauste der Beifall, als Luciano Pavarotti 1988 in der Deutschen Oper Berlin den „Liebestrank“ gesungen hatte – ein Rekord des kollektiven Beifallklatschens zu einem Kulturereignis. Dabei sind ja bereits zehn Minuten Applaus etwas Besonderes und – bei aller Freude, die darin zum Ausdruck kommt – durchaus anstrengend für die Beteiligten. Normalerweise gibt es eine „Applausordnung“, die unter anderem dafür sorgt, dass alle wissen, wann es jetzt genug sein darf oder soll mit dem Jubel. Im Rintelner Brückentorsaal aber, wo kürzlich junge Flüchtlinge mit einem Regisseur aus dem Irak ein grandioses Stück aufführten, kam es am Ende zu einer lustigen Szenerie: Die Zuschauer klatschten im Stehen, auf der Bühne standen die Schauspieler, ebenfalls minutenlang klatschend, und keiner wusste so richtig, wie man damit zu einem Ende kommen sollte.
Die „Applausordnungen“, die man als heimischer Besucher von Konzert, Theater oder Varieté im Allgemeinen ganz gut kennt, sie geraten leicht durcheinander, wenn man es mit anderen Kulturen zu tun hat. Jede Truppe, die auf Auslandstourneen unterwegs war, kann davon berichten. Markus Pabst etwa, Regisseur im GOP-Varieté, war mit der Erfolgshow „Wet“, die aktuell in Bad Oeynhausen aufgeführt wird, unter anderem in Japan zu Gast. Wo seine Artisten in Deutschland mit ständigem Zwischenapplaus und langem Abschlussjubel verwöhnt werden, saßen die Japaner die ganze Zeit still da. Zum Abschluss erst gab es den erhofften Beifall und – ein Missverständnis.
„Wir traten zunächst ab und kamen dann, wie gewohnt, erneut auf die Bühne“, erzählt Markus Pabst. „Da hatten die japanischen Zuschauer aber schon mit dem Klatschen aufgehört. Sie wussten offensichtlich nicht, was wir jetzt noch von ihnen erwarten. Schließlich holten sie ihre Kameras heraus. Sie dachten, wir stünden noch da, damit sie uns fotografieren dürften, was sie dann auch gerne taten.“ In Australien dagegen war es geradezu ein Kunststück gewesen, gegen den Lärm im Publikum anzuspielen, gegen diese Mischung aus Zwischenrufen, Beifallbekundungen, lautem Lachen und einem Trubel, der sich dann gar nicht mehr groß vom Schlussapplaus unterschied.
Ilka Voß, Dramaturgin am Theater Hameln, hat eigentlich nur einmal erlebt, dass eine ähnliche Stimmung in ihrem Haus herrschte, als nämlich Sänger Ivo Zöllner die bekannten, sehr witzigen „Couplets“ des Berliner Komikers Otto Reuter vortrug. „Da gab es nicht nur nach jedem Lied Applaus, sondern oft sogar nach einzelnen Liedstrophen“, sagt sie. „Das ist wirklich ungewöhnlich, und normalerweise würde so was eher stören. Aber andererseits: Die Schauspieler freuen sich eigentlich immer über Beifallsbekundungen. Man sollte das nicht so eng sehen.“
Bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts ging es offenbar immer recht wild und lustig zu bei Theater- und auch bei Konzertaufführungen, wie hätte sonst im Jahr 1910 in Berlin erstmals offiziell durchgesetzt werden müssen, dass Beifall bitte nicht während, sondern erst am Ende einer Sinfonie einzusetzen habe? Heute gibt es Zwischenapplaus bei klassischen Konzerten fast nur dann, wenn Zuhörer bereits nach dem dritten Satz klatschen, obwohl doch noch ein vierter Satz folgt. Diejenigen, die das nicht wussten, hören dann meist schnell und peinlich berührt wieder auf mit dem Klatschen.
Das ist allerdings auch hier nicht überall so. Organist und Dirigent Wolfgang Westphal, ehemaliger konzerterfahrener Kreiskantor in Rinteln, erlebte in Amerika, dass das Publikum ganz selbstverständlich auch zwischen den einzelnen Sätzen applaudiert. „Dafür geht der Applaus am Ende ganz schnell vorbei“, sagt er. „Ich konnte das gar nicht fassen, als ich mal dem ausgezeichneten Sinfonie Orchester Chicago zuhörte. Der deutsche Gastdirigent, der natürlich davon ausging, dass er mehrmals auf die Bühne zurückgerufen würde, hatte kaum sein Treppchen verlassen, als der Beifall schon verebbte.“
Er selbst hätte gar nichts dagegen, wenn bei Konzerten auch nach einem besonders schönen Satz geklatscht würde. „Früher hätte ich das wohl kritisiert“, sagt er. „Aber inzwischen finde ich es fast etwas spießig, seine Gefühle immer so zurückzuhalten.“ Für ihn gibt es da nur eine unverrückbare Ausnahme, an die sich das Publikum immer halten sollte: Wenn in einer Kirche Musik wie etwa Bachs Matthäuspassion oder ein Requiem gegeben werde. „Die Bitte, auf Applaus zu verzichten, wird aber vorher ausgesprochen oder ins Programmheft gedruckt.“ Ist das Schweigen der Zuhörer für Chor und Orchester etwas, das sie dann vermissen? „Nein“, so Westphal. „Oft stehen die Leute da und verharren so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Manchmal beeindruckt das mehr, als jeder Beifall es könnte.“
So sieht es auch Nicole Heinrich, Pressesprecherin im GOP-Varieté Bad Oeynhausen. Die Varieté-Shows folgen ja einem anderen Muster als normale Theateraufführungen. Grundsätzlich erinnern sie an die Stimmung, wie man es zum Beispiel über zeitgenössische Shakespeare-Aufführungen oder bei Konzerten im 18. Jahrhundert lesen kann: Es wird gegessen und getrunken, gepfiffen und gerufen, mittendrin geklatscht, aber auch untereinander geplaudert. „Ab und zu aber kommen Nummern, die sind so bewegend, dass niemand bei den einzelnen Höhepunkten klatscht“, so Nicole Heinrich. „Das ist selten und im ersten Moment kann der Artist auch verunsichert sein. Kommt schließlich aber großer Applaus, dann war die vorherige Stille das Zeichen eines ganz besonderen Beifalls.“
Sogenannte „Claqueure“, also bezahlte Animateure, die gezielt so applaudieren, dass das Publikum gar nicht anders kann, als einzufallen, die gibt es heute nicht mehr. Sagt jedenfalls Ilka Voß vom Theater Hameln. „Wahrscheinlich ist das Publikum inzwischen so gut erzogen, dass es von selbst weiß, dass man im Fall des Falles doch zumindest aus Höflichkeit zu klatschen hat.“ Im Gegenzug seien auch lautstarke kritische Zwischenrufe aus der Mode gekommen. Sie jedenfalls habe es noch nie erlebt, dass es bei Aufführungen Buhrufe oder Protestpfeifen gegeben hätte. „Und wütend Eier oder Gemüse auf die Bühne zu werfen, das passiert schon allein deswegen nicht, weil es verboten ist, Essbares mit in den Saal zu nehmen“, sagt sie lachend.
Eines betonen alle, die mit Musik- oder Theaterstücken zu tun haben: Applaus nach der Generalprobe, das darf gar nicht sein! Niemals. „Aberglaube ist ein Riesenthema in Theaterkreisen“, sagt Ilka Voß. „Auch wenn es sich um eine öffentliche Generalprobe handelt, darf nicht geklatscht werden. Das geht so weit, dass das Applausverbot jedes Mal extra angekündigt wird. Sicher ist sicher!
Was nun die komisch-vertrackte Situation in Rinteln betrifft, als sich Zuschauer und Flüchtlings-Schauspieler verrückt lange klatschend gegenüberstanden, so kam die unausgesprochene „Applausordnung“ schon vorher nicht recht zur Geltung. Jubelnd war das Publikum aufgesprungen, schlug laut wie selten in die Hände und erwartete, dass die Schauspieler, die sich glücklich, aber schnell zurückzogen, erneut auf die Bühne kommen würden. Minuten vergingen, der Beifall ließ nicht nach, doch die Truppe erschien nicht mehr. Schließlich lief jemand hinter die Bühne, um zu gucken, was da los war. Anscheinend hatten einige schon damit begonnen, sich umzukleiden.
Hier und da wurde spekuliert, ob das Applaudieren in den islamisch geprägten Herkunftsländern der Schauspieler anderen Regeln folge als in Deutschland. Jemand meinte zu wissen, dass der Islam das Beifallklatschen eigentlich verbiete. Dolmetscher Wissem Bin Lardi, der im Übergangslager Prince-Rupert-School den Flüchtlingen zur Seite steht, muss über solche Spekulationen lachen. „Bei uns wird im Theater genauso geklatscht wie hier“, sagt er. „Da gibt es kaum einen Unterschied.“ Dass die Schauspieler sich so unkonventionell verhielten, habe schlicht mit ihrer Unerfahrenheit zu tun. „Es sind ja Laien, manche von ihnen waren vor ihrer Flucht noch niemals in einem Theater, und der Regisseur hatte einfach nicht daran gedacht, ihnen vorher zu erklären, was allgemein üblich ist. War das schlimm? Im Gegenteil. Noch Tage später redeten die Rintelner Theaterbesucher nicht nur über das Stück, sondern auch über die Applaus-Szenen zum Schluss. Irgendwann, als allen die Hände wehzutun begannen, fingen viele an zu lachen. Zuschauer und Schauspieler winkten sich gegenseitig zu und gingen dann doch auseinander. Ganz besonders glücklich.
Nach einem tollen Theaterstück,
einem Konzert oder einer Aufführung wird geklatscht – ist ja klar. Doch die ungeschriebene Choreografie, die
dahintersteckt, ist nicht überall die Gleiche. Amerikaner klatschen anders als Chinesen, im Varieté anders als im Kabarett, und vor hundert Jahren war sowieso alles ganz anders.