„Geschafft“ haben es auch zwei Brüder aus Syrien. Der siebzehnjährige Salah Eddin Zarak und sein fünf Jahre älterer Bruder Mounzer flüchteten aus ihrer Heimatstadt Damaskus, eine bis vor wenigen Jahren pulsierende Millionenmetropole des Orients, um am Ende ihrer Flucht in den stillen Weserbergland-Dörfern angekommen und suizidgefährdet zu sein.
Vater schickte Söhne mit ein paar Tausend Euro auf den Weg
Nur wenige Jahre ist es her, da galt Damaskus als Urlaubstraum von Tausend und einer Nacht im kulturellen und religiösen Zentrum des Orients. Eine Millionenmetropole als Reiseziel für den gehobenen Bildungs- und Erlebnisanspruch des mitteleuropäischen Touristen mit dem nötigen Kleingeld. Flugdauer gerade mal 12 bis 14 Stunden. Der aktuelle „Reiseverkehr“ bewegt sich als Flüchtlingsstrom seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges in ungleich größeren Massen in entgegengesetzter Richtung. Und diese Reise ist keine Sache von Stunden, Wochen oder Monaten, sondern Jahren. Es ist die Flucht ums Überleben und eine Zukunft.
Für Salah und Mounzer Zarak hat die Flucht aus der Heimat drei Jahre gedauert. „Ja, mal wieder Fußball wie zu Hause wäre schön“, sagt Salah Eddin in der kleinen Wohnung neben dem Coppenbrügger Jugendtreff, wo wir uns verabredet haben. „Und für meinen Bruder ein Job, wo er wie zu Hause mit Gefrier- und Reinigungsgeräten zu tun hat.“ Es war ihnen zu Hause gut gegangen. Schule, Job, Fußballklub, Schwimmen, Reiten, die ganze IT-Palette allgegenwärtig und immer zur Hand. Bis der Bürgerkrieg begann. Bis Schluss war mit dem „big money“, das der Vater mit dem Vertrieb von Schokoladen- und Kekswaren im In- und Ausland gemacht hatte.Bis die 12-köpfige Familie von heute auf morgen vor dem Nichts stand und zunächst gemeinsam nach Jordanien flüchtete. „Keine Arbeit dort, wenn du Syrer bist“, sagt Salah. „Mal ein paar Tage auf dem Bau, mal im Steinbruch. Zu wenig, dass die ganze Familie satt werden konnte“.
Sein Englisch ist knapp. Das Smartphone hilft mit Fotos. Bruder Mounzer nickt. Spricht nur arabisch, stellt drei Cola auf den Tisch. „Keine Zukunft für euch“, habe der Vater gesagt, den ältesten Söhnen ein paar Tausend Euro in die Hand gedrückt und sie auf den Weg nach Deutschland geschickt. Allein. Da war Salah Eddin 13 Jahre und Mounzer Zarak 20 Jahre alt. Ein Weg durch Elend, Not und Gewalt, Dinge, die sie verdrängen, vergessen, worüber sie nicht reden wollen. Weil sie jetzt am Ziel sind. Weil sie Glück hatten. Unverletzt und gesund. Am Leben. Und nur darauf komme es jetzt an, sagen sie.
Ihre Flucht führte über Tausende von Kilometern: zu Fuß in die Türkei, von dort mit dem Schiff nach Athen. Zu Fuß durch Mazedonien, Serbien, zu Fuß nach Ungarn. Von Budapest leisteten sie sich die Bahnfahrt nach München. Und zum Schluss, Salah führt genau Buch, waren sie „zwei Monate, 15 Tage“ im Auffanglager Friedland, bevor sie zwei Wochen in Herkensen untergebracht wurden. Glücklich am Ziel nach jahrelangen Strapazen. Aber hier wartete ein Problem der anderen Art auf die beiden Brüder: In der dörflichen Ruhe und der geringen Anbindung ans öffentliche Leben, die so gar nichts vom pulsierenden Leben einer Metropole hat, waren sie zutiefst unglücklich. Als höchste Suizidgefahr wahrgenommen wurde, reagierte die Verwaltung spontan. „Die jungen Leute müssen unter Menschen in den Kernort“, sagt Bürgermeister Hans-Ulrich Peschka. „Das haben wir gelernt und werden es ab sofort bei der Wohnungsauswahl berücksichtigen.“ Die Brüder Zarak wohnen jetzt in einer kleinen Wohnung im Coppenbrügger Jugendtreff. Der Verkehr auf der B1 dröhnt direkt am Fenster vorbei, „wir lernen jeden Tag neue Jugendliche kennen, haben Markt, Museum, Schwimmbad, Fußballtraining im Verein, jeden Tag über Facebook Kontakt mit der Familie.“ „Alles ist gut“, sagen sie. Und die Zukunft? Deutsch lernen, sei ihr nächstes und wichtigstes Ziel, versichern sowohl die sudanesischen wie auch die syrischen Neubürger. Und dann? „Abwarten, zur Schule gehen, erstmal hier leben lernen“, planen die Afrikaner. Salah dagegen sieht sich, wenn er erstmal seinen Pass hat „auf jeden Fall in München oder Hamburg, ’big city’ wie zu Hause.
Hassan Ali, Salah Eddin Zarak und Mounzer Zarak sind drei der mittlerweile 55 Flüchtlinge, die in der letzten Zeit in Coppenbrügge untergekommen sind.