LÜGDE. „Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt“, mit diesen Worten kommt Christian Ehring auf die Bühne, „das Ende von Corona“. Das sei ja jetzt von der Politik so beschlossen worden, befindet er. Es sei zum Schluss ein Duell Politik gegen Virus gewesen, und da habe er das Covid-19-Virus im Vorteil gesehen, denn „das ist in der Lage, sich weiter zu entwickeln“.
Ehring glänzt in seiner Rolle als geschliffen-entspannter Moderator der NDR-Satiresendung „extra 3“. Am Sonntag stand er im Klostersaal auf der Bühne. Ehring glänzte auch vor den über 100 Zuhörenden – und bewies, dass er deutlich vielseitiger ist, als er im Fernsehen zeigen kann.
Inhaltlich unterscheidet sich Ehrings gesellschaftskritisches Programm nicht sehr von dem seiner Kollegen. Der ersten Kabarettliga – in der auch Ehring Stammspieler ist – gelingt es, politische Tagesaktualität mit zyankalischen Kommentaren und, im besten Falle, neuen Pointen zu verbinden. Fünf Wortakrobaten an fünf Tagen traten in der vergangenen Woche im Kloster auf – da wiederholte sich schon mal dieses Wortspiel, jener zynische Kommentar. So manches, was am Sonntag von der Bühne kam, war bekannt – aus Ehrings Sendung oder von Kollegen. Das ist kein Qualitätsurteil: Ehring ist sehr stil- und zielsicher in seinen Pointen, aktuell und politisch überzeugend. Der Nato-Beitritt von Schweden und Finnland, der Kreml, das mittlerweile zum Witzthema Nummer eins verkommene Virus – all das erfährt Erwähnung in seinem Programm. Die Leichtigkeit der Präsentation, sein Timing, seine inspirierten, chilligen Jazzintermezzi auf dem Keyboard, die punktgenauen Liedtexte – das alles ist intelligentes, solides Kabaretthandwerk. Am nachhaltigsten jedoch bleibt eine scheinbare Kleinigkeit: Ehring bringt beiläufig einen Namen ins Spiel. Dieser Justus sei sein ältester Freund, erzählt Ehring, und er sei ein Querdenker. Nun sei er unsicher, wie er sich jetzt diesem seinem Kumpel gegenüber zu verhalten habe. Er schildert Situationen aus der Uni, von da, wo sie sich kennengelernt haben, und plötzlich geschieht es: Dieses Schnipselchen Privatleben, egal, ob echt oder nicht, führt dazu, dass da oben auf der Bühne plötzlich nicht mehr der glatte, gut gekleidete Moderator steht, sondern der etwas unsichere Student in weinrotem Rollkragenpullover und brauner Cordhose, der, weil er keinen Fernseher auf seinem Zimmer hat, sein Ohr an die dünne Wand des Studentenwohnheims legt, um aus dem Nebenzimmer „Wetten, dass...?“ zu hören. „Justus sagt“, heißt in Wirklichkeit nichts anderes als „ich bin dann mal raus, aber gebe der anderen Meinung einen Raum“. Das, mit Verlaub, ist brillant. Urplötzlich begibt sich Ehring in die Rolle des Beobachters, und das ermöglicht es ihm – gelernt ist gelernt – unter Ausnutzung der jeweiligen Situationskomik, verschiedene Perspektiven darzustellen.
Zwischendurch spielt Ehring Klavier. Die Jazzphrase in a-Moll wiederholt er ein ums andere Mal, so, als ob er seine Zuhörer Atem schöpfen lassen will während dieses Interludiums. Er interagiert selten mit dem Publikum, bringt es lieber unter seiner Regie zu Selbsterkenntnis. Bei der Aussage: „USA: Mehr Waffen sorgen für mehr Sicherheit“ ist die Häme im Zuschauerraum förmlich spürbar. Direkt danach sagt er „Deutschland: Bei 250 auf der Autobahn ist man so richtig frei“; die unsichtbare Emotion wird schlagartig zu Scham. Und immer wieder Justus, der eigentlich Miriam heiraten wollte, aber wegen Corona und allerlei Umständen in einer Paartherapie gelandet ist. Der Therapeut empfiehlt, das Paar solle bei Streitgesprächen nur noch Ich-Botschaften senden. „Also nicht mehr: Du bist ein egoistisches Arschloch, sondern: Ich bin traurig – lange, lange Pause – weil du ein egoistisches Arschloch bist.“
Am Ende wird es versöhnlich. Man müsse die Welt gar nicht unbedingt verändern, wie Justus, der Ingenieur, sie sei ja eigentlich ganz schön, so, wie sie ist. Und das sagt nicht Justus, sondern Christian. Langer, begeisterter Applaus zum Schluss, Autogramm- und Selfiewünsche: Hier im Kloster haben Ehring und Justus richtig abgeräumt.
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