HAMELN. Vom Virtuellen des letzten Jahres ins aktuell Reale gerettet und das „angenehm Widerständige der kleinen Form“ um ein weiteres Jahr „2021 – war da was?“ verlängert und überraschend im Theater auf der Bühne (TAB) angesiedelt.
Hamelns Theaterchef, geistiger Vater des musikalisch-satirischen Jahreswechselblicks der Hamelner Bühne und diesmal als „advocatus caeli“ – schlimmer als der „diaboli“ – der hinterhältig mit „Jauchzen und Frohlocken“ Vergangenheitsbewältigung betreibt. Und der „Spielmann Gottes“ aus der Bruckner-Stadt Linz zitiert, der eine Symphonie dem „lieben Gott“ gewidmet hat und „spirit of perfection“ als „Geist der Vollkommenheit“ aufgetischt, wobei der perfekte Spirit von der Kölner Theken-Dame alias Theresa Blessing reklamiert und anders geistig ausgeschenkt wird.
Übrigens Linz, weil Christian Manuel Oliveira, der sich diesmal nicht selbst am Klavier begleitet, sondern von Manuela Kloibmüller virtuos mit dem Akkordeon, von dort angereist ist. Und Akkordeon, sei es auch nur, um bei „La Paloma“ mit „Scheiß Corona ade!“ den Rückblick enden zu lassen, der so fröhlich mit „Welcome“ aus „Cabaret“ beginnt. Ein Duo auch für einen Solo-Abend. Oliveira auch Haendelers Gesprächspartner – und wieder mit von der Partie: Matisek Brockhues als verlässlicher Nachrichten-Sprecher und seriöser Chronist.
War es im Jahr zuvor zum Jahreswechsel noch der Brand im Affenhaus des Krefelder Zoos – ist es diesmal der von Trump angeheizte Sturm auf das Kapitol. Und Voltaires „Beste aller Welten“ aus „Candide“ konterkariert – und auch schon vom Liebling des „Alten Fritz“ nichts als Satire. Über Bienensterben, Monokulturen, Agrarwüsten und Pestizide musikalisch zur „Biene Maja“, zu der kollektiv mit den Füßen gewippt werden konnte. Purcells „Cold Song“, eine Art Stakkato mit Handbremse – und immer noch Januar und die Meldung von 28 Billionen Tonnen geschmolzenem Eis zwischen 1994 bis 2017.
Aus dem Vatikan nichts Neues von der Homo-Front, dafür Aznavours „Ich bin ein Homo – wie sie sagen“ und erinnert, dass ein Rock Hudson dauernd Doris Day küssen musste. Er wird uns fehlen, Prinz Philip, der uns so oft schmunzeln ließ und mit 99 Jahren auf Schloss Windsor verstorben ist. Stehend mit Hand auf Herz und „Pomp and Circumstances“ geehrt.
Wahljahr 2021 – Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin, Armin Laschet gewinnt gegen Markus Söder und verliert gegen Olaf Scholz, dem SPD-Kandidaten. Die USA erinnern an die Abschaffung der Sklaverei und Oliveira singt dazu hinreißend „On the sunny side of the street“ mit Mundharmonika-Einlage. „Dat is ̓ne komplette Sintflut“ meldet sich die Theken-Dame. 180 Menschen sterben bei der Flutkatastrophe, diesem „Jahrhundertereignis“. Da fehlen dann auch Haendeler die Worte. Halbzeit.
„Es kann nur besser werden“, orakelt der Theaterchef, dann brennt es lichterloh in der Türkei und in Griechenland. Die Taliban erobern Kabul – ein Fontane-Gedicht heißt „Das Trauerspiel um Afghanistan“. „13 000 Mann erstarrt, erschlagen.“ Da rettet auch das Hoffnungslied „Youkali“ von Weill nichts mehr. Theodorakis stirbt, dann Belmondo und „Die Bestie“ speit Feuer auf „La Palma“. Noah Gordon, dessen „Medicus“ auch auf Hamelner Bühne als Musical gespielt wurde, ist tot, auch Volker Lechtenbrink und der „Shakespeare des Broadway“, Stephen Sondheim.
„Was kann jetzt noch kommen“, fragt Haendeler. „Dat, wat seid 2020 immer kütt: Corona!“ Finale mit Bécaud und „Dann wird alles zu Ende sein“ – und Anfang 2023, Phoenix aus der Asche, mit „2022 – war da was?“ – und klar: wieder im großen Haus.