HAMELN. Juristisch wasserdicht muss es aus Sicht der Stadt sein, deswegen hat Hameln nicht einfach den Wortlaut der Allgemeinverfügung übernommen, die der Landkreis bereits am Dienstag veröffentlicht hatte, sondern eine eigene formuliert, geprüft und jetzt veröffentlicht.
Allgemeinverfügung der Stadt Hameln über die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen für Teilnehmende bei Versammlungen i.S.v. Art. 8 GG
Die Stadt Hameln erlässt gem. § 8 Abs. 1 Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG) vom 7. Oktober 2010, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20.05.2019 (Nds. GVBl. S. 88) in Verbindung mit § 7c Niedersächsische Verordnung über infektionspräventive Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 und dessen Varianten vom 23.11.2021 (Nds. GVBl. S. 770) in der derzeit geltenden Fassung (Niedersächsische Corona-Verordnung) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) und § 35 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) folgende Allgemeinverfügung:
1.Die Teilnehmenden, Leitenden sowie Ordnerinnen und Ordner bei Versammlungen unter freiem Himmel i.S.v. Art. 8 GG auf dem Gebiet der Stadt Hameln sind verpflichtet, eine Atemschutzmaske mindestens des Schutzniveaus FFP2, KN 95 oder eines gleichwertigen Schutzniveaus zu tragen. Dies gilt auch bei nicht angezeigten Versammlungen im Sinne des § 2 NVersG.
Hiervon ausgenommen sind Personen, denen aufgrund von Vorerkrankungen, wegen des höheren Atemwiderstands, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht zumutbar ist. Dies ist gegenüber polizeilichen Einsatzkräften vor Ort auf Verlangen durch ein ärztliches Attest oder eine vergleichbare amtliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Ebenfalls ausgenommen sind Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres.
Kinder zwischen dem vollendeten 6. Lebensjahr und dem vollendeten 14. Lebensjahr dürfen anstelle einer medizinischen Maske eine beliebige andere geeignete textile oder textilähnliche Barriere, die aufgrund ihrer Beschaffenheit eine Ausbreitung von übertragungsfähigen Tröpfchenpartikeln durch Husten, Niesen und Aussprache verringert, unabhängig von einer Kennzeichnung oder zertifizierten Schutzkategorie, als Mund-Nasen-Bedeckung tragen.
2.Die sofortige Vollziehung von Nr. 1 wird angeordnet.
3.Diese Allgemeinverfügung gilt mit dem auf ihre Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben. Die Bekanntmachung erfolgt als Eilfall im Internet unter der Adresse https://www.hameln.de/de/buergerservice-verwaltung/buergeranliegen/bekanntmachungen/aktuell/
sowie im elektronischen Amtsblatt der Stadt Hameln im Internet unter der Adresse http://www.hameln.de/amtsblatt
Die Allgemeinverfügung gilt bis zum Ablauf des 15. Januar 2022, eine Verlängerung bleibt vorbehalten.
Begründung:
Zu Nr. 1:
Die Stadt Hameln ist nach § 24 Abs. 1 Satz 2 NVersG zuständige untere Versammlungsbehörde für das Gebiet der Stadt Hameln.
Rechtsgrundlage für die getroffenen Maßnahmen ist § 8 Abs. 1 NVersG i.V.m. § 7c Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung.
Nach § 8 Abs. 1 NVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Nach § 7c Satz 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung kann die zuständige Versammlungsbehörde zum Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 die Versammlung auf der Grundlage des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes beschränken.
Die Regelung ist als Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG zu treffen, da zahlreiche Versammlungen mit verschiedenen Veranstaltern im Gebiet der Stadt Hameln stattfinden. Neben fristgerecht angezeigten Versammlungen finden in letzter Zeit vermehrt nicht angezeigte Versammlungen sowie Eil- und Spontanversammlungen statt. Auch nicht angezeigte Versammlungen unterfallen dem Versammlungsrecht und werden entsprechend behandelt. Bei diesen kann die Versammlungsbehörde den Infektionsschutz nicht in einem Kooperationsgespräch thematisieren und möglichst auf dieser Basis sicherstellen. Um dennoch in der aktuellen Infektionslage ein Mindestmaß an Infektionsschutz bei allen Versammlungen zu regeln, ergeht diese Allgemeinverfügung (zur grds. Zulässigkeit von versammlungsrechtlichen Beschränkungen per Allgemeinverfügung s. Niedersächs. OVG, Beschl. V. 06.11.04 - 11 ME 322/04 -; Ullrich, NVersG, Boorberg-Verlag, 2. Aufl., § 8, Rz. 163).
Öffentliche Sicherheit im Sinne des § 8 Abs. 1 NVersG umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen.
Dabei kann sich eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch aus anderweitigen gravierenden Gefahren für hochrangige Schutzgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) oder die Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitssystems im Falle einer Pandemie durch ein hochansteckendes Virus mit einer hohen Anzahl schwerer Erkrankungsverläufe ergeben (OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Juni 2020 – 11 ME 139/20 –, juris, Rn. 17).
Eine unmittelbare Gefährdung setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit gegenüberstehenden Rechtsgüter führt. Zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Allgemeinverfügung liegen erkennbare Umstände vor, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Hierfür liegen nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose vor.
Nach § 7c der Nds. Corona-Verordnung hat die Veranstalterin oder der Veranstalter einer Versammlung unter freiem Himmel nach Artikel 8 des Grundgesetzes durch geeignete Maßnahmen den Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 sicherzustellen. Die zuständige Versammlungsbehörde kann zum Schutz vor Infektionen mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 die Versammlung auf der Grundlage des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes beschränken.
Das Robert Koch-Institut hat seine Risikobewertung bezüglich COVID-19 am 21.12.2021 angepasst. Es schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Ursächlich hierfür ist das Auftreten und die rasante Verbreitung der Omikron-Variante, die sich nach derzeitigem Kenntnisstand deutlich schneller und effektiver verbreitet als die bisherigen Virusvarianten. Dadurch kann es zu einer schlagartigen Erhöhung der Infektionsfälle und einer schnellen Überlastung des Gesundheitssystems und ggf. weiterer Versorgungsbereiche kommen.
(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html zuletzt abgerufen am 04.01.2022)
In ganz Niedersachsen besteht derzeit die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung von COVID-19 (Feststellungsbeschluss des Niedersächsischen Landtages vom 07.12.2021, vgl. LT-Drs´en 18/10306 u. 18/10329).
Auch im Landkreis Hameln-Pyrmont ist die als besonders ansteckende Omikron-Variante angekommen. Versammlungen eröffnen grundsätzlich Übertragungswege für das Virus SARS-CoV-2 und steigern das Infektionsrisiko.
Der Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen in der Stadt Hameln steigt stetig und liegt derzeit bei 122,5 (Stand RKI 05.01.2022).
Das RKI weist seit Tagen darauf hin, dass die jüngst von ihm veröffentlichten Zahlen zu den Neuinfektionen mit dem Coronavirus unvollständig sind. Mit Blick auf die hochansteckende Omikron-Variante des Virus ist die tatsächliche Inzidenz vermutlich wesentlich höher.
Auch die anderen Warnfaktoren der Nds. Corona-Verordnung steigen wieder an, die landesweite Hospitalisierungsrate beträgt 4,6 % und die landesweite prozentuale Intensivbettenbelegung mit COVID-19 Patienten 7,4 % (Stand 05.01.2022). Aufgrund der erwarteten Infektionsdynamik, insbesondere aufgrund der sich derzeit stark verbreitenden Virusmutation Omikron ist zu verhindern, dass diese Werte in den nächsten Tagen, noch vor dem durch die Omikron-Variante zu erwartenden Effekt, ansteigen werden.
In der Zeit vom 24.12.2021 bis zum Ablauf des 15.01.2022 gilt in ganz Niedersachsen die sog. Weihnachts- und Neujahrsruhe und damit Warnstufe 3. Damit sind einige zusätzliche Kontaktbeschränkungen verbunden. Ziel ist es, möglichst viele Menschen in Niedersachsen noch mit einer Auffrischungsimpfung zu versorgen, bevor die Omikron-Variante sich in Niedersachsen verbreitet. Denn es ist nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen mit einer erhöhten Reproduktionsgeschwindigkeit der Omikron-Variante zu rechnen.
Auch bei Versammlungen ist zwar der Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten (§ 1 Abs. 2 der Nds. Corona-Verordnung). Versammlungen sind aber in aller Regel durch einen dynamischen Ablauf gekennzeichnet, so dass der Mindestabstand nicht konsequent einzuhalten und sicherzustellen ist. Denn nicht nur während der Versammlung kommt es zu Kontakten zwischen den Teilnehmenden, auch vor Beginn und nach dem Ende kommt es teilweise zu Berührungen untereinander, aber auch zu anderen Personen. Insbesondere bei sich fortbewegenden Versammlungen können die Teilnehmenden die zum Infektionsschutz erforderlichen Abstände nicht konsequent einhalten. Aufgrund des individuellen Gehtempos und der Entwicklung des Versammlungsverlaufs kommt es zu Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen.
Doch auch bei ortsfesten Versammlungen stehen die Teilnehmenden in Kontakt zueinander und bewegen sich in der Menge, so dass die Mindestabstände nicht dauerhaft eingehalten werden können. Hinzu kommt, dass der Zweck der Versammlung, die gemeinsame Meinungskundgabe, durch Unterhaltungen und gemeinsames Rufen ein erhöhtes Risiko für Tröpfcheninfektionen mit sich bringt.
Es besteht daher das Risiko, dass sich auf Versammlungen eine erhebliche An-zahl von Personen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ansteckt und in der Folge das Gesundheitssystem belastet. Auch bei Versammlungen unter freiem Himmel besteht ein Infektionsrisiko, da viele Menschen auf engem Raum aufeinandertreffen und die Mindestabstände nicht einhalten.
Dies zeigen auch die Erfahrungen der Versammlungsbehörden in den letzten Wochen. Bei den im Stadtgebiet Hameln stattfindenden Versammlungen werden regelmäßig Verstöße gegen das Abstandsgebot festgestellt.
Ziel der hier verfügten Maßnahme ist es, im Interesse des Schutzes von Leben und Gesundheit eines und einer jeden die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern bzw. zu verlangsamen und eine Überlastung des Gesundheitssystems infolge eines ungebremsten Anstiegs der Zahl von Ansteckungen, Krankheits- und Todesfällen zu vermeiden.
Die Maskenpflicht ist geeignet, diesem Zweck zu fördern. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum wird vom RKI empfohlen, insbesondere, wenn das Abstandsgebot nicht oder nur schwer eingehalten werden kann.
FFP2-Masken bieten nach aktuellen Studien einen besonders hohen Schutz, der aufgrund der prognostizierten Entwicklung der Pandemie ergriffen werden soll. (Max-Planck-Gesellschaft: So gut schützen Masken, 02.12.2021
https://www.mpg.de/17915640/corona-risiko-maske-schutz , zuletzt abgerufen am 04.01.2022).
Das Verwaltungsgericht Hannover hat bereits in einer Entscheidung vom 16.04.2020 das Tragen von Gesichtsmasken als mögliche geeignete Maßnahme zur Einschränkung der Infektionsgefahr herausgestellt (Beschluss vom 16.04.202, Az.: 10 B 2232/20) und diese Maßnahme mit dem Beschluss vom 26.06.2020 (Az.: 10 B 3500/20) nochmals ausdrücklich für Versammlungen bestätigt.
Ebenso hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 27.06.2020 (Az.: 1BvQ 74/20) das Auferlegen einer Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für Teilnehmer einer Versammlung nicht beanstandet.
Die Maskenpflicht ist erforderlich. Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn es kein gleich effektives, für den Adressaten weniger belastendes Mittel gibt, das Ziel zu fördern. Ein solches Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Verweis auf die einzuhaltenden Mindestabstände nicht ausreichend. Denn die Einhaltung der Maskenpflicht kann anders als der Mindestabstand während der gesamten Versammlung konsequent eingehalten werden, so dass alle Beteiligten geschützt sind. Gegenüber Verboten von Versammlungen oder Begrenzungen auf ortsfeste Versammlungen stellt die Maskenpflicht das mildere Mittel dar. Ernsthafte Gesundheitsgefahren sind nach dem Stand der Wissenschaft durch das (kurzzeitige) Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung fernliegend (vgl. ausführlich OVG NRW, Beschl. v. 9.3.2021 - 13 B 266/21.NE -, juris Rn. 53 ff.).
Schließlich ist die Anordnung einer Maskenpflicht auch angemessen. Der mit ihr erzielte Erfolg steht nicht außer Verhältnis zu den für die Adressaten verursachten Nachteilen. Die körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG der Versammlungsteilnehmenden, etwaiger Gegendemonstranten, von Passantinnen und Passanten, der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens wiegen schwerer als die Beschränkung der Versammlungsfreiheit. Eine Einschränkung der Meinungsäußerung geht mit dem Tragen einer Maske nicht einher. Auch mit Maske können sich die Teilnehmenden untereinander unterhalten und gemeinsam artikulieren. Auch bei Reden schränkt das Tragen der Maske nicht ein. Im Zweifel können Mikrophone oder Megafone eingesetzt werden.
Für Kinder und gesundheitlich beeinträchtigte Personen sind Ausnahmen von der Maskenpflicht vorgesehen.
Zu Nr. 2:
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der vorstehend genannten und erläuterten Verfügung ist erforderlich, weil eine Klage gegen diese Verfügung gemäß § 80 VwGO grundsätzlich aufschiebende Wirkung hätte, sodass im Falle der Klageerhebung insbesondere nicht angezeigte Versammlung dennoch ohne die verfügten Beschränkungen durchgeführt werden könnte. Das aber würde zu der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit führen, die vorstehend dargelegt worden ist. Nur durch die sofortige Vollziehbarkeit dieser Verfügung ist gesichert, dass die zu erwartende Störung für die öffentliche Sicherheit abgewehrt werden kann.
Zu Nr. 3:
Die Allgemeinverfügung gilt einen Tag nach ihrer Veröffentlichung als bekannt gegeben (§ 41 Abs. 4 Satz 4 VwVfG). Sie ist zunächst bis zum Ablauf des 15.01.2022 befristet. Mit der kurzen Befristung soll der Eingriff in das Versammlungsrecht so gering wie möglich gehalten werden. Die Verlängerung wird sich vorbehalten, um dem Umstand der dynamischen Gefährdungslage Rechnung zu tragen und bei sich gegebenenfalls verschärfenden Umständen die Allgemeinverfügung fortgelten zu lassen.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage beim Verwaltungsgericht Hannover, Leonhardtstraße 15, 30175 Hannover, erhoben werden.
Stadt Hameln, 05.01.2022
Der Oberbürgermeister
Abteilung Ordnung und Straßenverkehr
Im Auftrag
Manzau