An einem Schotterweg ist für den Käfer Endstation – nur der Forstverkehr darf hier durch. Das Ziel liegt mitten im Wald, zu Fuß geht es weiter; geradeaus folgen mehrere Kilometer Landschaftsschutzgebiet. Zwar gibt es menschliche Spuren im Wald: Am Wegesrand liegt aufgeschichtetes Holz, der Weg besteht nach ein paar Hundert Metern aus Treckerfurchen. An diesem Vormittag gehört der Forst aber nur den Tieren und Pflanzen – weder Waldarbeiter noch Spaziergänger lassen sich blicken. Nahe der Stelle, an dem der Dartpfeil die Landkreis-Karte durchbohrt hat, enden auch die Trecker-Fahrspuren – der Reporter steht allein im Wald. Die Kühle und die Stille in der Natur sind zwar angenehm, doch die Suche nach menschlicher Zivilisation führt zurück an den Ortsrand von Unsen.
Der Käfer parkt dort neben der Obstwiese eines Kindererholungsheims. Aus dem Gebäude dröhnt der Lärm einer Flex und überlagert die Naturgeräusche.
Zwei der Handwerker machen auf dem Gelände Frühstückspause. „Wir legen drinnen Laminat“, erzählt Sahin Bulut. Das Heim werde gerade renoviert. Beide genießen an einer überdachten Sitzgruppe den Schatten, obwohl sie hohe Temperaturen aus ihrer Heimat gewohnt sind: Sahin Bulut kam vor sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland, Kollege Galenk Miro floh vor zweieinhalb Jahren aus Syrien.
In den Räumen des Heims des Hamburger Schulvereins stapeln sich Baustoffe, Kinder wohnen zurzeit nicht hier. Im Büro sitzt Mitarbeiterin Christine Fesche. „Ziel war es, ein Heim in diesem Mittelgebirgsklima zu haben“, erzählt sie. In den 60er Jahren wurden ausschließlich Kinder aus Hamburg dorthin, an den Rand des Süntels, geschickt. Sie sollten sich in der Natur von der Großstadt erholen. Mittlerweile bietet das Heim Unterkünfte für fast jede Art von Gruppen und Einzelpersonen. Besonders häufig kämen Schulklassen, berichtet Fesche. Damals wie heute spielt die Lage am Waldrand eine wichtige Rolle: Wo die Kinder früher wanderten, unternehmen sie heute Geocaching-Touren.
Weil dem Landkreis der Brandschutz nicht ausreiche, müsse ein Teil des Gebäudes baulich angepasst werden – deswegen gebe es gerade keinen Kinderlärm, sondern Baulärm, erklärt sie. Lange Zeit seien die neuen Vorschriften kein Thema gewesen. Der Landkreis habe gar keine Unterlagen über das abgelegene Heim gehabt. Nur „durch Zufall“ habe eine Landkreis-Mitarbeiterin das Heim „entdeckt“, weil sie zum Schwimmen ins Waldbad wollte. Die habe sich das Gebäude dann spontan angeschaut und Mängel festgestellt. In wenigen Wochen wird eine Großtagespflege als Untermieter einziehen, deswegen nutze man jetzt die Gelegenheit, auch jenen Gebäudeteil entsprechend umzubauen, erzählt Fesche. Die Räume würden außerdem für ein neues Konzept angepasst. Unter dem Namen „Herberge im Sünteltal. Kinder-, Jugend- und Gästehaus“ wolle man ein breiteres Publikum ansprechen.
Was früher noch „Kur“ hieß, heißt mittlerweile „Projektfahrt“. Doch eines hat sich nicht geändert: Die Kinder und Jugendlichen verbringen hier Freizeit in der Natur. Gerne schwimmen sie auch im benachbarten Waldbad, sagt Fesche.
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Das Schwimmbad liegt nur wenige Meter entfernt; der Käfer macht sich auf den Weg. Kinder plantschen, Erwachsene sonnen sich – natürlich ist an einem sonnigen Ferientag einiges los im Schwimmbad. „Es ist hier gefühlt wie im Wald“, meint Uli Seddig, Vorsitzender des Waldbad-Fördervereins. Früher habe man aber noch vom Schwimmad aus ins Sünteltal blicken können. Doch der Wald hat es in den letzten 40 Jahren eingeholt. Seddig ist privat im Bad und sonnt sich am Beckenrand. Privates Vergnügen und Ehrenamt seien aber schwer zu trennen – zu tun gebe es immer etwas. „Präsenz ist das Wichtigste“, meint er. Weil es vor Ort oft Ansprechpartner vom Förderverein gebe, würden die Leute auch oft von alleine auf die Idee kommen, einzutreten. Trotz der Arbeit genießt er die Zeit: „Jeder Tag, den man hier verbringt, ist so gut wie Urlaub“, beteuert Seddig. Dazu trägt die waldnahe Lage bei. Bei Wind sorgen die zahlreichen Bäume für Schutz, bei Sonne spenden sie Schatten. An heißen Tagen ist es hier ein bisschen kühler und stiller als anderswo – wie im nahegelegenen Süntel eben.