GROSS BERKEL / GROHNDE. An einen anderen Berufswunsch kann sich Ulrich Telle (65) gar nicht erinnern. Schon als Kind stand für den Groß Berkeler fest, dass er einmal Förster wird und in der Schule titulierte ihn der Lehrer als „Hilfsförster ohne Gehalt“.
Das sagt eigentlich schon viel über seine Freizeitgestaltung als Kind und Jugendlicher aus. Nun geht er nach 48 Dienstjahren in seinem Traumberuf in den Ruhestand – mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie er sagt.
Zu Tränen rührt ihn der Zustand des Waldes. Die Bäume, die er ganz zu Anfang seiner beruflichen Laufbahn während seines Vorbereitungsdienstes bei den Niedersächsischen Landesforsten in den Wäldern rund um Grohnde gepflanzt hat, werden zurzeit in großer Stückzahl von einem Vollernter als minderwertiges Käferholz aus dem Bestand geholt.
Von Ernte kann dabei gar nicht die Rede sein, denn erntereif sind die Bäume noch nicht, sondern frühzeitig durch Wassermangel, Windwurf und Käferbefall zu Totholz und damit zu einer Gefahr im Wald geworden. Noch mehr als die verlorenen Fichtenwälder schmerzt Telle der Zustand vieler alter Buchen, die ebenfalls durch den Klimawandel großen Schaden genommen haben und ums Überleben kämpfen.
Doch nicht nur das Klima und damit der Wald, sondern auch die Arbeit der Menschen, die mit dem Wald beschäftigt sind oder waren, hat sich im Laufe von fast einem halben Jahrhundert grundlegend geändert. Viel körperlich harte Arbeit wurde durch Maschineneinsatz erleichtert. Keine Spur mehr von der verklärten Naturromantik, die in rührselige Heimatschnulzen verpackt im Wirtschaftswunderdeutschland über Kinoleinwände oder Fernsehbildschirme flimmerten, dafür jede Menge Verwaltungskram und Schreibtischarbeit.
Sein Großvater mütterlicherseits sei auch Förster gewesen und habe seinerzeit tatsächlich noch einen Wilddieb nach einem Schusswechsel gestellt – das war allerdings in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, erzählt er.
Telle stammt aus dem Solling – einem waldreichen Gebiet. Seine Berufsausbildung begann er 1973 nach dem Realschulabschluss mit einem 14-monatigen Praktikum in der Försterei in Neuhaus/Solling. „Das war damals noch möglich. Heute muss man ein allgemeines Abitur vorweisen oder mindestens die Fachoberschule Agrarwissenschaft, Fachrichtung Forstwirtschaft absolviert haben, um zum Studium zugelassen zu werden“, berichtet der Groß Berkeler.
Er besuchte nach dem Praktikum das Internat der Forstschule Schloss Düsterntal bei Delligsen. Danach ging es für den frischgebackenen Hilfsförster erst einmal zur Bundeswehr. „Verweigern war schwer möglich, schließlich konnte ich von Berufs wegen mit dem Gewehr umgehen“, erklärt er. Dann folgten zwei Jahre Vorbereitungsdienst auf die Inspektorenlaufbahn im Forstamt Grohnde mit der Revierförsterei Welsede als Ausbildungsstätte. „Diese Revierzeit hat mich geprägt“, sagt Telle heute.
Nach mehreren weiteren Ausbildungsstationen und Prüfungen wurde er schließlich als revierloser Forstbeamter zur Unterstützung von Kollegen nach Nienburg geschickt. Mit 26 Jahren war er noch zu jung, um die frei gewordene Försterei Grohnde zu übernehmen. Und obendrein war er auch noch unverheiratet – allesamt schlechte Voraussetzungen. Doch schon ein Jahr später, als die Stelle abermals vakant war und wieder ausgeschrieben werden musste, konnte der Forstbeamte alle Anforderungen erfüllen und das Forsthaus in Grohnde wurde zum neuen Zuhause von Ulrich und Friederike Telle.
Mit dem Jägerlatein hat er es nicht so. Die junge Wildkatze, die sich im Radkasten seines damals lindgrünen Dienst-Golfs verklemmt hatte, gab es wirklich. „Wir mussten die Tür ausbauen, um sie zu befreien“, berichtet der scheidende Revierförster. Aber ein bisschen abergläubisch ist er, schließlich kennt auch er die Legende vom weißen Reh. „Die besagt nämlich, dass man weiße Rehe nicht schießen darf. Sie gelten als Unglücksboten. Tut ein Jäger es trotzdem, passiert etwas Schlimmes und stirbt jemand aus seiner engsten Familie“, erzählt er. Und Pilze findet der Revierförster eher zufällig, wenn er durch die Bestände läuft und Bäume auszeichnet. „Einmal waren es so viele, dass der Beifahrersitz sowie der gesamte Fußraum voller Steinpilze lag“, erzählt er von seinem größten Fund.
Zurückblickend resümiert Telle, dass er das Glück hatte, durch alle Verwaltungsreformen gut durchgekommen zu sein. Im Zuge von Strukturveränderungen gab er die Zuständigkeit für den Staatswald ab, betreute im Gegenzug aber fortan deutlich mehr Forstgenossenschaften. Ganz ohne Wald und Bäume – besonders haben es ihm dicke alte Eichen und gewaltige Douglasien angetan – wird Telle auch nach seiner Pensionierung nicht auskommen müssen. Er hat schon vor Jahren das Forsthaus in Grohnde gegen einen Resthof in Groß Berkel getauscht. Hier führt er die Jagdgenossenschaft und mit einer seiner Kutschen fährt es sich bestimmt auch gut durch Wald und Flur.