MARIENAU. Ein Ort der letzten Ruhe, oft idyllisch gelegen mit Raum für Stille und Gedenken – einst traf das auch auf den alten Friedhof in Marienau an der Bundesstraße 1 zu, doch damit ist längst Schluss. Dass künftig Autos parken sollen, wo Menschen beerdigt wurden, gefällt der Coppenbrüggerin Karin Bormann nicht.
Die Bezeichnung „Meckertante“ bringt Karin Bormann im Gespräch mit der Dewezet selbst ins Spiel. „Ich bin sowieso die Meckertante“, sagt die 64-jährige Coppenbrüggerin, doch mit ihrem Unmut bezüglich des Friedhofs sei sie nicht alleine, das wisse sie von anderen.
„Allein die Vorstellung“, sagt sie empört, „dass ich unter Beton (!) liege…“ Um sie selbst geht es ihr aktuell aber gar nicht, sondern um ihre Ur- und Großeltern. Alle vier seien auf dem alten Friedhof bestattet worden, „hinten an der Bahn“. Das allerdings ist auch schon viele Jahre her, die Laufzeiten der Gräber sind lange abgelaufen, wie sie erzählt. Jetzt habe sie allerdings von dem Vorhaben gehört, dass auf der Fläche Parkplätze entstehen, was sie als „pietätlos“ empfindet. „Ich möchte später nicht unter Beton begraben liegen und dass Autos auf meinen sterblichen Überresten parken!! Möchten Sie das?“, fragt sie entrüstet in ihrer E-Mail an die Dewezet.
Bündnis 90/Die Grünen hatten sich für Erhalt der Grabmale eingesetzt
Noch vor fünf Jahren hatten sich die damaligen Ortsratsmitglieder um Lidia Ludwig (Bündnis 90/Die Grünen) dafür eingesetzt, dass die Ende 2016 bei einer Ortsbegehung entdeckten Grabmale dokumentiert und erhalten werden. Einige der teils kunstvoll gefertigten Steine waren über 100 Jahre alt, hätten damals aber „kreuz und quer und sehr würdelos verteilt, im Gelände“ gelegen, wie Lidia Ludwig in einer Ortsratssitzung die Situation beschrieb. Seither hatte das Gras reichlich Zeit sowohl über die alten Gräber als auch über das Anliegen der Grünen zu wachsen. Sinngemäß habe es irgendwann geheißen, dass es die Sache nicht wert wäre, fasst Lidia Ludwig jetzt auf Anfrage zusammen. Damals war die Gemeinde noch für den Friedhof zuständig, befand sich aber im Eigentum der Kirche. Und die hat es in diesem Jahr verkauft.
Landeskirche Hannover genehmigt Entwidmung des Friedhofs in Marienau
„Die Entwidmung des Friedhofes ist öffentlich bekannt gegeben worden“, erklärt die Kirchenvorstandsvorsitzende Susanne Korth, und zwar in den Amtlichen Bekanntmachungen der Gemeinde Coppenbrügge vom 25. Februar 2021. Beschlossen hatte das der Kirchenvorstand schon im November 2020, nachdem knapp drei Jahre zuvor die letzte Ruhezeit auf dem ehemaligen Friedhof geendet hatte. Längst wurde der neue Friedhof genutzt; „aus diesem Grund ist der alte Friedhof Marienau entbehrlich und die Fläche [wird] nicht mehr für Friedhofszwecke benötigt. Hiermit wird das […] Flurstück 179 formell als Friedhofsfläche entwidmet“, heißt es in der Genehmigung der Landeskirche Hannover.
Bürmöbelhersteller Wini hat auf Dewezet-Anfragen nicht reagiert
„Da war nur noch ein Grab“, erinnert sich auch Thomas Koch, Pastor der St. Nicolaigemeinde Coppenbrügge. Er bestätigt, dass die Kirche das Gelände („etwa 5000 Quadratmeter“) verkauft hat, und zwar an das Unternehmen Wini. „Wir wussten auch, dass der neue Eigentümer dort Parkplätze bauen will“, erklärt Susanne Korth. Wini selbst hat auf die Dewezet-Anfragen zu den Grundstücksplänen nicht reagiert. Pastor Koch hat Kenntnis von den Vorhaben und erklärt, dass ein „Großteil parkähnlich“ werden solle und nur ein kleinerer Bereich für Parkplätze geplant sei.
Die Bedenken, die Menschen hinsichtlich entwidmeter Friedhöfe manchmal hätten, sind Koch von anderen Projekten bekannt. Sein Blick auf das, was von Leichnamen übrig bleibt, und dass diese Reste manchmal eben auch wieder ans Tageslicht kommen, ist ein nüchterner. „Wir finden überall Gebeine“, sagt Koch generell über Baumaßnahmen auf einstigen Friedhöfen und erinnert sich an einen Fall, in dem Kinder Schädelknochen entdeckt hätten. Die Aufgabe sei es dann, die gefundenen Knochen „pietätvoll zu lagern“.
Pastor Thomas Koch über den Zustand des alten Friedhofs in Marienau: „Jetzt sieht‘s wüst aus.“
Koch ist sich sicher, dass die „Totenruhe gewahrt wird“ beim Umsetzen der Wini-Pläne. Die Mindesttiefe für Bestattungen liege bei 1,50 Metern – so tief müsse für Parkplätze nicht ausgekoffert werden. Moralische Bedenken, einen ausgedienten Friedhof an aktuelle Bedürfnissen anzupassen, teilt Koch nicht. Was er aber verstehen kann: dass Passanten sich an dem derzeitigen Erscheinungsbild des Geländes stören. „Jetzt sieht‘s wüst aus“, beschreibt er den Zustand, „weil eine Firma da Material lagert.“
Karin Bormanns Wunsch, dass das Gelände nicht überbaut wird, erfüllt sich nach jetzigem Stand nicht. „Vielleicht bin ich da empfindlicher“, sinniert sie über ihre persönliche Meinung, um aber festzustellen: „Für mich ist es schlimm.“
UPDATE (10.5.2022): Wini hat inzwischen reagiert - die Dewezet-Anfragen, die an die für Medien eingerichtete E-Mail-Adresse gerichtet waren, seien nicht angekommen, heißt es. Ein Treffen mit dem Büromöbelhersteller ist bereits vereinbart, bei dem Wini seine Pläne für den alten Friedhof erläutern wird.
Ich möchte später nicht unter Beton begraben liegen und dass Autos auf meinen sterblichen Überresten parken! Möchten Sie das?
Karin Bormann, Coppenbrügge