BAD PYRMONT. Zeitanzeiger sucht man hier vergeblich, mal abgesehen von denen an den Handgelenken der Belegschaft. Die Uhren der Pyrmonter Firma Meinberg sind verborgen in Bauteilen für Systeme zur Synchronisation von Zeit und Frequenzen. Und das ist immer mehr gefragt, denn wo es um professionelle Kommunikation geht, kommt es auf höchste Präzision an.
Produkte im Wert von 24 Millionen Euro hat das Familienunternehmen im vergangenen Jahr weltweit verkauft. Was die Brüder Werner und Günter Meinberg 1979 in einem Wohnzimmer an der Hamborner Straße begannen, hat sich zu einem modernen Industrieunternehmen mit 115 Mitarbeitern in Holzhausen entwickelt. Dazu kommen sieben Mitarbeiter für Vertrieb und Support im kalifornischen Santa Rosa und 12 Mitarbeiter der vor zwei Jahren übernommenen Firma „Oregano Systems“ in Wien. Die Kunden stammen aus den Bereichen Energie, Forschung, Luft- und Raumfahrt, Finanzen, Rundfunk, Telekommunikation und Verteidigung.
Entwickelt und produziert werden die höchst komplexen Systeme mit Funkuhren, GPS-Empfängern, Timecode-Generatoren oder Zeitservern komplett in Holzhausen – bis hin zum Gehäuse. „Unsere Produkte sind 100 Prozent ,Made in Bad Pyrmont‘, von der ersten Idee bis zur Serienreife“, erklärt Produktionsleiter Stephan Meinberg (37), Sohn des Firmengründers Werner Meinberg. Das Unternehmen produziert lokal, agiert aber international. Ein Netzwerk in 40 Ländern sorgt für Vertrieb und Service, und jüngst wurde die Partnerschaft mit dem Unternehmen „Net Insight“, einem weltweit führenden Anbieter von Medientechnologie mit Sitz in Stockholm, erweitert. Sie zielt laut Unternehmen darauf ab, hochmoderne End-to-End-Zeitsynchronisationslösungen auf den Markt zu bringen.
Meinberg profitiert von der Digitalisierung und Automatisierung der Arbeit und Produktion, die in den beiden Corona-Jahren noch einen Schub bekommen hat. Der ständig wachsende Bereich der Netzwerktechnik spielt den Pyrmontern dabei in die Hände. Mit Zeitservern, die Netzwerke aller Größen mit hoch genauer Zeit versorgen, gelang der Durchbruch. „Der LANTIME-Zeitserver ist bis heute unser meistverkauftes Produkt“, erklärt Stephan Meinberg. Aktuell behauptet sich das Unternehmen mit seiner IMS-Serie (Intelligent Modular Synchronization) am schnell wachsenden, globalen Markt gegen weitaus größere Konkurrenten. Die Kunden können unter gut 50 verschiedenen Modulen auswählen, ganz nach ihren speziellen Anforderungen, und sie können die Module später austauschen oder erweitern.
Die Anwendungen sind höchst unterschiedlich. Das reicht vom Betrieb der Funkzellen für Handys über Finanzgeschäfte und TV-Übertragungen mit zeitgleich arbeitenden Kameras samt Ton und endet längst nicht bei der Versorgungssicherheit für Kraftwerke. An vielen Börsen zum Beispiel wäre superschnelles Hightech-Speed-Trading ohne Meinberg nicht möglich. „Jede einzelne Transaktion muss zwingend mit einem Zeitstempel versehen werden, und dafür können wir sorgen“, erklärt der Produktionsleiter, dass diese Zeitsysteme aus Bad Pyrmont an fast allen wichtigen Börsen zum Einsatz kommen.
Kein Produkt verlässt die Hallen an der Langen Wand, ohne zuvor nicht gründlich geprüft worden zu sein. Die Server laufen zu Dutzenden in langen Regalen im einwöchigen Testbetrieb, sie werden durchgerüttelt oder in einer von der Außenwelt abgeschirmten Absorber-Kammer auf ihre elektromagnetische Störfestigkeit getestet. „Auf die Kontrollen legen wir viel Wert“, sagt Meinberg.
Wert hat das Unternehmen auch darauf gelegt, nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine alle Geschäftsaktivitäten mit Russland und Weißrussland einzustellen. Alle offenen Aufträge wurden storniert oder auf Eis gelegt. „Wir wissen, dass unsere Partner in Russland keine Möglichkeit haben, die Entscheidung ihrer Regierung direkt zu beeinflussen“, heißt es dazu in einer Erklärung vom 4. März. „Aber wir wissen auch, dass die Situation für unsere Partner und Freunde in der Ukraine noch viel dramatischer ist.“
Die hohen Energiekosten sind auch für Meinberg ein Thema, denn Teile der Produktion sind energieintensiv. Zumindest einen Teil seiner benötigten Energie will das Unternehmen künftig mit Solartechnik auf dem gut 2000 Quadratmeter großen Dach des Firmengebäudes selber erzeugen – auch aus Fürsorge für das Klima. „Grünes Denken ist bei uns wichtig“, beschreibt Stephan Meinberg einen Aspekt der Firmenphilosophie, die seit wenigen Wochen auch von außen erkennbar ist.
Auf dem Rasen verrichtet eine „Solarblume“ ihren Dienst, deren Module sich 30 Minuten vor Sonnenaufgang entfalten, dann tagsüber GPS-gesteuert mit einer optimalen Neigung der Sonne folgen und sich 30 Minuten nach Sonnenuntergang wieder schließen. Der Jahresertrag von bis zu 6200 kWh kann sich zwar sehen lassen, der Preis von 30 000 Euro aber ist happig. „Das ist für uns in erster Linie ein Hingucker, der sich für einen privaten Haushalt eher nicht amortisiert“, betont Meinberg. Auf jeden Fall hat diese „Smart Flower“, made in Österreich, in Holzhausen schon für reichlich Gesprächsstoff gesorgt.