Zu: „Schulen sollen auf Noten verzichten können“, vom 29. Dezember
Erfreut stelle ich fest, dass es wohl nun eine Politikerin auf den Kultusministersessel geschafft hat, bei der die Fachbücher zur Entwicklungspsychologie nicht nur der Dekoration im Bücherregal dienen, sondern die diese offensichtlich auch gelesen hat. In immer kürzeren Abständen wird dokumentiert, dass unser Schulsystem nur fragmentarisch in der Lage ist, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Wenn nach zehn Schuljahren ein großer Teil der Schüler kaum in der Lage ist, behördliche Schreiben zu dechiffrieren und über das Beherrschen der vier Grundrechenarten nicht hinauskommt, stellt sich oft die Frage, was haben die in der ganzen Zeit gemacht? Das Festhalten an Prinzipien der Kaiserzeit, in der dieses Schulsystem mal gegründet wurde, ist wohl kaum zielführend. Wie können Schulnoten jemals die Talente von Menschen beschreiben? Sie treffen allenfalls eine Aussage darüber, ob ich einen Lernstoff zu einem bestimmten Zeitpunkt wiedergeben konnte oder eben auch nicht. Sie sagen weder etwas darüber aus, ob vielleicht Prüfungsstress vorhanden war und schon gar nichts darüber, ob der Lernstoff verinnerlicht wurde. Nicht wenige Schüler drücken nach der Prüfung die Löschtaste. Jeder sollte sich ehrlich die Frage stellen, welche Fähigkeiten er denn dem Schulbesuch zuschreiben kann. Ich denke, das Resümee wird ernüchternd ausfallen. Insofern kann man das Engagement unserer Bildungsministerin nur begrüßen. Es wird Zeit, dass sich etwas bewegt. Schlechter machen kann man unser Schulsystem kaum noch. Und Luft nach oben ist jede Menge vorhanden. Am Ende fällt mir noch ein Sinnspruch der 68er ein: „Haben Sie heute ihr Kind schon gelobt?“ Wir wissen doch alle, dass nicht mehr motiviert als die Tatsache, dass jemand die Hand auf die Schulter legt und sagt: „Haste jut jemacht!“ Ein Ausreichend im Zeugnis ist dazu nicht geeignet.