Zu: „Kampf gegen Kinderarmut“, vom 29. September
Zunächst ist es zu begrüßen, wenn Politiker sich für dieses Thema einsetzen, um so Heranwachsenden eine gewisse Chancengleichheit zu ermöglichen. Ich halte Armut aber nicht zwangsläufig für einen immerwährenden, unveränderbaren Zustand, aus dem man ohne staatliche Hilfe nie einen Ausweg findet. Armut kann auch als Chance für Heranwachsende verstanden werden, eigene Kräfte zu mobilisieren, um einen besseren Lebensweg zu gehen.
Ich verbrachte meine Kindheit in den Sechziger-/Siebzigerjahren. Nach heutiger Definition von Kinderarmut, war ich, zusammen mit vielen anderen Kindern, sehr arm. Meine Eltern waren durch Krankheit selten arbeitsfähig, weshalb ich in Intervallen, zusammen mit meinen zwei Brüdern, bei meinen Großeltern lebte. Sie haben uns mit ihrer kleinen Rente (bedingt durch die Kriegsjahre) ernährt. Ich erinnere mich gut an den verzweifelten Blick meines Großvaters, wenn ich wieder einen neuen Schulblock für 50 Pfennig brauchte. Also beschloss ich, kleine Nebenjobs anzunehmen, um solche nötigen Ausgaben selbst zu finanzieren. Bekam ich Geld für einen Schulausflug mit, brachte ich es unangetastet zurück. Staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, kam für meine Großeltern nicht infrage und wurde als eine Frage der Ehre abgelehnt! Hat mir dieses Großwerden geschadet? Ganz sicher nicht! Ich wusste früh, dass ich mich selbst finanzieren muss. Um das zu können, war eine Berufsausbildung zwingend! Ich kenne viele Beispiele von Jugendlichen, die zu meiner Zeit kaum Geld hatten und es trotzdem in sehr gute berufliche Positionen geschafft haben. Der Ruf nach dem Staat wird in den letzten 30 Jahren auf allen Bedürftigkeitsebenen immer lauter! Ob aber jede Anspruchshaltung berechtigt ist, bezweifele ich stark.