Neue Serie: Sinti in Hameln
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Heinrich Weiß (1891-1963), der vielleicht erste Sinto in Hameln, vor seinem Wohnwagen am Rettigs Grund in der Nordstadt. Auf dem geigenförmigen Schild neben der Tür steht: „Ankauf u. Verkauf, Reparatur sämtlicher Musikinstrumente“. Foto: Reilo Weiß/pr
„Was fällt Ihnen zu Familie Weiß ein?“ Unter Hamelnern fallen die Antworten auf diese Frage selten positiv aus. Dabei basieren sie meistens bloß auf Gerüchten. In Hameln ist „Familie Weiß“ ein Synonym für die deutsche Minderheit der Sinti. Doch das Wissen über Sinti im Allgemeinen sowie über Familie Weiß im Besonderen ist dünn. Diese Dewezet-Serie ist der Versuch, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Als Angehöriger der Sinti hat man in Deutschland keinen leichten Stand. Keine andere Minderheit wird von den Deutschen stärker abgelehnt als Sinti und Roma. Zu diesem Ergebnis kam 2014 eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Es sei eine fatale Mischung aus Gleichgültigkeit, Unwissenheit und Ablehnung, die sich durch alle Bevölkerungsschichten ziehe und der Diskriminierung von Sinti und Roma den Boden bereite.
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Die deutschen Sinti sind deutsche Staatsbürger. Seit Jahrhunderten sind sie in Deutschland zuhause. Sie haben – neben der deutschen – eine eigene Kultur und eine eigene Sprache. Trotzdem bestehen 72 Jahre nach dem Holocaust dieselben Vorurteile gegenüber Sinti fort, die damals zum Völkermord führten: Sie seien kriminell, schmutzig, faul … Eine Absicht der Serie besteht deshalb auch darin, Vorurteile abzubauen. Für die meisten Sinti, die in diesen Beiträgen vorkommen, war es das ausschlaggebende Argument, sich überhaupt auf die Dewezet-Serie einzulassen: der Wunsch, etwas zum Abbau von Vorurteilen beizutragen.
Das Misstrauen vieler Sinti gegenüber der Mehrheitsgesellschaft ist aufgrund ihrer jahrhundertelangen Verfolgungsgeschichte groß. Der Völkermord der Nazis, dem – wie die Serie aufzeigen wird – auch viele Angehörige der Familie Weiß zum Opfer fielen, ist unvergessen. Gleichzeitig sind viele Sinti aufgrund eigener kultureller Gegebenheiten selbst auf einen gewissen Abstand von den Chale oder Gadsche, den Nichti-Sinti, bedacht. Dennoch haben sich viele auf diese Serie eingelassen. Die Serie bedeutet für die Hamelner Sinti, die bislang öffentlich kaum in Erscheinung getreten sind, einen großen Schritt in die Öffentlichkeit.
Dass die Sinti-Familie Weiß in Hameln einen schlechten Ruf hat, das braucht ihren Angehörigen niemand zu sagen. Sie bekommen es Tag für Tag zu spüren: bei der Wohnungssuche, bei der Arbeit, auf dem Amt … Wieso das so ist und was das mit den Betroffenen macht, auch auf diese Fragen sucht diese Serie Antworten. So viel sei an dieser Stelle vorweggenommen: Die Stadtverwaltung und die Politik haben es der Familie Weiß bei ihrer Ankunft in Hameln 1954 und in den Folgejahren alles andere als leicht gemacht. Viele hätten es lieber gesehen, wenn „die Zigeuner“ wieder verschwunden wären. Tatsächlich dürfte diese Zeit, dieses Gebaren von Verwaltung und Politik, das bis heute in der Hamelner Bevölkerung vorherrschende Bild von der Familie Weiß nicht unwesentlich mit geprägt haben.
Im weiteren Serienverlauf begleitet die Dewezet Schrotthändler und andere selbstständige Sinti bei ihrer Arbeit. Es werden Einblicke gegeben in die Kultur von Sinti in Hameln. Auch die Sinti-Musik – zum Beispiel der Sinti-Jazz – die in Hameln eine lange, aber im Grunde gänzlich unbekannte Tradition hat, wird eine Rolle spielen. Beleuchtet wird ebenso die starke christliche Glaubensgemeinschaft der Hamelner Sinti …
Die Serie hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie steht weder für alle Angehörigen der Familie Weiß noch für alle Sinti. Aber es ist das erste Mal, dass die Geschichte und Gegenwart der Hamelner Sinti – und damit auch ein Stück unerzählter Stadthistorie – umfassend aufgearbeitet und dokumentiert wird.
Infobox
Ein Überblick über die Erscheinungstage der Dewezet-Serie „Familie Weiß – Sinti in Hameln“:Freitag, 25. August:„Die unerzählte Geschichte der Familie Weiß“. Oder: Wie die Stadt die Sinti am liebsten wieder losgeworden wäre.Mittwoch, 30. August:„Ich bin gar nicht so, wie sie dachten“: Wie aus Vorurteilen Feindbilder entstehen.Freitag, 1. September:„Morgens früh holten sie uns“ – Erinnerungen und Überlieferungen Hamelner Sinti an die Nazi-Zeit. Und ein Interview mit Bluma Weiß (88) zum Thema.Mittwoch, 6. September:„Auch mit Haus: Die Stadt bleibt hart“. Verwaltung macht für Ehepaar Weiß keine Ausnahme – und behält Geld von Wiedergutmachung ein.Freitag, 8. September:„Der Bürgermeister vom Hamelwehr“ – Karl Weiß war in der verrufenen Soziabausiedlung der Ansprechpartner für alle.Mittwoch, 13. September:„Wir geben unsere Kultur nicht auf“ – Ein vorsichtiger Versuch, den Lebensstil der Sinti zu beleuchten.Freitag, 15. September:„Wetteifern um die Seelen der Sinti“ – Viele christliche Missionare bemühten sich um die Gunst der Familie Weiß. Und: Ein Porträt der ehemaligen Schaustellerin Renate Ebernickel (73), geb. Weiß, zum Thema.Mittwoch, 20. September:„Ich bin stolzer Sinto“ – Ein Porträt des Hamelners Reilo Weiß (69). Und: Ein kurzer Vergleich zwischen der Stadt Uslar und Hameln beim Umgang mit den Sinti.Freitag, 22. September:„Eine große Kluft“: Die Wahrnehmung zwischen Sinti und Behörden klafft weit auseinander. Und: Ein Interview mit Horst Rosenberg (57) von der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma.Mittwoch, 27. September:„Auf Geschäft fahren“: Ein Tag an der Seite von Schrotthändler Andreas Weiß (36) – und Einblicke in die Arbeit von Fassadenreinigern und Dachsanierern.Freitag, 29. September:„Ein Ausdruck der Liebe“: Prächtige Gräber und riesige Trauergefolge als letzte Ehrerweisung.Mittwoch, 4. Oktober:„Die Unbekannten“: Hameln hat viele gute Sinti-Musiker. Es kennt sie bloß keiner.
Freitag, 6. Oktober:„Ein Verein wäre auf jeden Fall nötig“ – Selbstorganisation der Hamelner Sinti.
DEWEZET