Was ein Interhelp-Team im Erdbebengebiet erlebt hat (mit Video)
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Im Katastrophengebiet – Yusuf Sezer und Davud Dogankollu vom Bauhof zeigen dem Interhelp-Vorsitzenden Ulrich Behmann aus Hameln und der Türkei-Koordinatorin Nevin Savas aus Bad Pyrmont, wo die nächsten Interhelp-Zelte aufgestellt werden sollen. Fotos: Interhelp
„Das, was wir gesehen haben, werde ich nicht vergessen können“, erzählt der Interhelp-Vorsitzende Ulrich Behmann. Diese Bilder hätten sich eingebrannt. Das Leid der Überlebenden, die in ständiger Angst vor schweren Nachbeben leben und deshalb in Autos oder in Zelten schlafen, und das der Menschen, die teils viele Angehörige verloren haben, verfolge ihn bis in den Schlaf, sagt der Hamelner. Der ehrenamtliche Helfer war auch nach den Erdbebenkatastrophen von Haiti und Nepal im Hilfseinsatz – er hat schon viel Elend gesehen auf dieser Welt, aber für das ungeheure Ausmaß der Zerstörung, die das Erdbeben von Kahramanmaras angerichtet hat, gebe es wohl keine Worte, die annähernd beschreiben könnten, was das Interhelp-Team dort gesehen habe.
„Wir stehen alle unter dem Eindruck der Erlebten, müssen diese Erlebnisse erst einmal verarbeiten“, sagt die Türkei-Koordinatorin der Organisation Interhelp, Nevin Savas, aus Bad Pyrmont. In Ankara hat die gelernte Krankenschwester gemeinsam mit ihrer Cousine Banu Arslan Familienzelte herstellen und ins Katastrophengebiet liefern lassen. „In der Türkei sind solche Zelte günstiger als in Deutschland. Wir sparen also Spendengeld und helfen gleichzeitig der lokalen Wirtschaft“, sagt Ulrich Behmann. Außerdem sei der Transportweg vergleichsweise kurz und günstig.
Die Opferzahl wird weiterhin ansteigen
Wie viele Menschen noch unter den Trümmern begraben sind, weiß niemand. Es gibt Schätzungen, wonach die Anzahl der Todesopfer auf 100 000 ansteigen könnte. Allein in Kahramanmaras sollen 17 000 Einwohner gestorben sein. 70 000 hätten Verletzungen erlitten, heißt es. Es sei eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, hat der Leiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, David Beasley, gesagt.
Interhelp ist gebeten worden, die türkischen Behörden und Organisationen mit beheizbaren Zelten für obdachlos gewordene Familien und mit großen Rundhallen zu unterstützen. Die Helfer aus Hameln, Bad Pyrmont, Bückeburg und Rinteln werden bei ihrer Arbeit engagiert vom türkischen Generalkonsulat in Hannover und von Turkish Airlines unterstützt. Die Fluggesellschaft sponserte nicht nur die Tickets der Helfer, sie transportiert auch kostenlos 5 Tonnen Hilfsgüter nach Adana. In den Rundhallen, die mit mobilen Heizungen ausgerüstet sind, werden schon bald Kinder, die ihr Zuhause verloren haben, spielen und essen können.
„Es macht mich sehr traurig, zu wissen, dass viele Mädchen und Jungen ihre Mütter oder Väter und manche Menschen 20, 30 oder mehr Angehörige verloren haben – und das innerhalb von wenigen Sekunden“, sagt der Bückeburger Interhelper Leonhard Maximilian Behmann. Viele Menschen hätten ihm ihre Geschichten erzählt. „Sie handeln von Tod, Trauer und Verzweiflung.“
An einer Straßenseite, auf der kein Stein mehr auf dem anderen steht, hat jemand einen Transporter geparkt. Die Heckklappe ist geöffnet, der Kofferraum gefüllt mit weißen Leinentüchern. Darin werden die von Kettenbaggern so vorsichtig wie möglich freigelegten sterblichen Überreste eingewickelt. Im Staub, den die Maschinen aufwirbeln, sind Männer zu sehen, die Leichenteile in lange Tücher wickeln. Es seien Bilder wie diese, die ihn bis in seine Träume verfolgen würden, sagt Ulrich Behmann. „Vergessen kann man so etwas nicht. Man kann es vielleicht verdrängen, aber…“ Der Interhelper bricht das Gespräch ab. Seine Stimme versagt.
Angst vor Plünderungen - Die Menschen müssen das wenige Hab und Gut schützen
Arbeiter des städtischen Bauhofs der Hauptstadt Ankara haben damit begonnen, die in der Türkei gefertigten Familienzelte in Kahramanmaras an Bedürftige zu verteilen und aufzustellen. Yusuf Sezer und Davud Dogankollu von der Ankara Buyüksehir Belediyesi haben sich freiwillig für den Einsatz im Katastrophengebiet gemeldet.
In einem Stadtviertel, in dem die meisten Häuser Risse haben und als einsturzgefährdet gelten, besucht das deutsch-türkische Helferteam das Ehepaar Aysel (38) und Sedat Göz (37) und deren kleine Tochter. Die Familie hat überlebt. Dafür dankt sie Gott. Aber sie ist obdachlos geworden. „Wir dürfen nicht zurück in unser Haus“, sagt Sedat Göz. „Die Behörden sagen, das sei viel zu gefährlich. Weggehen können wir auch nicht. Wir müssen das, was uns geblieben ist, bewachen.“
Das Ehepaar hat Angst vor Plünderern. Von Interhelp haben die Erdbebenopfer ein Zelt erhalten. Darin können sie vor ihrem Haus wohnen. „Wir sind ja so dankbar und glücklich, dass wir von euch ein Zelt bekommen haben“, sagt Vater Sedat Göz. „Es schützt uns vor Regen, Schnee, Sonne und neugierigen Blicken.“ Einen Ofen hat er aus dem zerstörten Haus geholt. Er steht nun im Zelt. Die Menschen, denen Interhelp helfen kann, zeigen große Dankbarkeit.
Jeder bedankt sich für unsere Hilfe. Viele wollen Selfies mit uns machen - sogar Polizisten, Retter und Sicherheitsleute am Flughafen.
Leonhard Behmann
Mislina vom Roten Halbmond bittet Interhelp um Hilfe. „Seit fast drei Wochen schlafen meine Tante und ihr behinderter Sohn in einem Auto. Das Haus, in dem sie wohnten, kann jeden Moment einstürzen“, erzählt die Helferin. „Habt Ihr vielleicht ein Zelt für meine Verwandten übrig?“, fragt sie uns. „Auch in diesem Fall konnten wir helfen“, sagt der Interhelper Cem Ipek aus Rinteln.
Die Erde kommt nicht zur Ruhe. Innerhalb von 24 Stunden wurden allein am Samstag in oder in der Nähe von Kahramanmaras 259 Nachbeben registriert. Sieben waren stärker als 4. In der anatolischen Provinz Nigde wurde an diesem Tag laut Katastrophenschutzbehörde AFAD sogar ein Beben der Stärke 5,3 gemessen. 11 935 Erdbeben wurden laut AFAD schon in diesem Monat registriert.
Für die Helfer aus dem Weserbergland steht fest: „Wir kommen wieder, helfen unseren türkischen Freunden“, sagt Interhelp-Vorsitzender Ulrich Behmann.
Wer Interhelp mit Geldspenden unterstützen möchte – hier sind die Spendenkonten:
- IBAN DE32 2545 0110 0000 0332 33 (Sparkasse Hameln-Weserbergland)
- IBAN DE49 2546 2160 0700 7000 00 (Volksbank Hameln-Stadthagen).
Internet: interhelp.info
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