Journalist plädiert für „positive Erinnerungskultur“ am Bückeberg
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Reichserntedankfest auf dem Bückeberg. Foto: Archiv
HAGENOHSEN. Als Kind hat Martin Risel über den Bückeberg vor allem eins gewusst: Dass man bei Schnee dort super Schlitten fahren kann. Von den propagandistischen Reichserntedankfesten der Nationalsozialisten, die dort von 1933 bis 1937 stattfanden, erfuhr Martin Risel – Jahrgang 1964, aufgewachsen in Kirchohsen – erst viel später. Allerdings nicht im Geschichtsunterricht am Schiller-Gymnasium, sondern zunächst, andeutungsweise, von seiner Mutter und dann, fundiert, als Erwachsener im Rahmen der ersten Bückeberg-Ausstellung des Hamelner Historikers Bernhard Gelderblom. Auch das, dieses Nicht-Thematisieren einer unliebsamen Vergangenheit, ist ein Grund, weshalb der in Berlin lebende Journalist die geplante Dokumentationsstätte sehr begrüßt – und die Bedenken der Kritiker nur schwerlich nachvollziehen kann.
Erst durch die Ausstellung Gelderbloms im Jahr 1999 sei Risel die Tragweite der Reichserntedankfeste am Bückeberg klar geworden. Entsprechend groß sei damals seine Verwunderung darüber gewesen, dass direkt vor Ort bis dahin nichts darüber zu erfahren war – und bis heute im Grunde nichts zu erfahren ist. „Das war schließlich ein Riesen-Ding und von nationaler Bedeutung“, sagt Risel im Gespräch mit der Dewezet. Der 53-Jährige sieht in der Massenveranstaltung am Bückeberg, an der bis zu einer Million Menschen teilnahmen, auch eine gewisse Einstimmung und „Vorbereitung auf den Krieg“.
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Martin Risel Foto: pk
Die Ausstellung nahm Risel damals zum Anlass, selbst über die Geschichte des Bückebergs zu recherchieren und einen Beitrag für das Deutschlandradio zu verfassen. Dabei machte er eine Erfahrung, die viele machen, die anfangen, Fragen zu diesem unbequemen Kapitel der deutschen Geschichte zu stellen. „Ich stieß oft auf eine Mauer des Schweigens“, erzählt Risel. Schließlich, führt er aus, seien viele der Einheimischen damals von der Massenveranstaltung selbst begeistert gewesen und hätten von ihr profitiert: die Gastronomie etwa, das Transportwesen und so weiter. „Aber viele wollten die ,alten Geschichten‘ lieber ruhenlassen“, sagt er im Rückblick. Vielleicht wollten sie aus einem Schuldgefühl heraus lieber „Gras drüber wachsen lassen“ oder auch, weil Angehörige sich tatsächlich schuldig gemacht hatten. Am Ende ist trotzdem ein zehnminütiger Radiobeitrag entstanden.
Risel ist überrascht, dass der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Hameln um Bernhard Gelderblom und der Landkreis Hameln-Pyrmont bei ihrem Bestreben für die Dokumentationsstätte noch heute auf so viel Widerstand in der Emmerthaler Bevölkerung stoßen. Mit einer Unterschriftenaktion sollen Stimmen gegen das geplante Projekt gesammelt werden, aus dem Emmerthaler Gemeinderat sind ebenfalls kritische Stimmen zu hören (wir berichteten) und mancher Bürger verleiht seiner Ablehnung dem Projekt gegenüber in Leserbriefen Ausdruck.
Dabei könnte die Dokumentationsstätte von den Emmerthalern doch als Bereicherung betrachtet werden, findet Risel. Er hat den Eindruck, als würde befürchtet, dass die Gemeinde Emmerthal mit der Stätte in ein schlechtes Licht gerückt werden könnte. „Dabei fallen mir persönlich Orte, die sich ihrer Vergangenheit stellen, positiv auf“, sagt er.
Martin Risel spricht gern von „positiver Erinnerungskultur“. Nach außen zu signalisieren, zu wissen, was früher passiert ist, und dafür Sorge zu tragen, dass es nicht wieder passiert, anstatt es zu verdrängen, sei doch schließlich etwas Positives. „Dadurch wird ein Ort, eine Region nur sympathischer“, glaubt Risel mit Blick auf Berlin und andere deutsche Städte, in denen sich öffentlichkeitswirksam und kritisch mit der Nazivergangenheit auseinandergesetzt wird.
Neben dem ethischen und pädagogischen Wert, den so eine Stätte haben könnte, sieht Risel zudem auch einen „Wirtschaftsfaktor“. Busse voller Schüler, die in die Region kommen, seien doch etwas Gutes. Auch vor diesem Hintergrund hält er das Kostenargument der Bedenkenträger für „populistisch“, die Sorge, der Bückeberg könnte zur „Neonazi-Stätte“ verkommen, für „vorgeschoben“. Zum einen zöge es Neonazis eher an personenbezogene Orte, zum anderen lasse sich der Wert von so einer Dokumentationsstätte „nicht in Zahlen messen“.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt das „Netzwerk Erinnerung und Zukunft“ in Hannover. „Den Wortführern (der Kritiker; Anm. d. Red.) geht es unter Zuhilfenahme finanzieller Bedenken darum, diesen wichtigen Ort nazistischer Hetze und ideologischer Kriegsvorbereitung aus dem Gedächtnis zu verbannen“, verkündete das Netzwerk in einer Resolution.
Risel würde sich wünschen, den Bückeberg und seine Geschichte nicht nur durch die „lokale Brille“ zu betrachten, sondern auch durch die „historische“. Für den lokalen Blick allein sei die Bedeutung, welche die Reichserntedankfeste für die folgende Entwicklung im Dritten Reich hatten, viel zu groß gewesen. Eine Entwicklung, die zu Krieg, Völkermord und Holocaust führte.
DEWEZET