„Mit diesen Zahlen habe ich nicht gerechnet“

Frauen übernehmen das Familien­management – selbst wenn sie Vollzeit arbeiten

Ein zweijähriges Kind spielt im Wohnzimmer, während seine Mutter im Homeoffice an einem Laptop arbeitet.

Ein zweijähriges Kind spielt im Wohnzimmer, während seine Mutter im Homeoffice an einem Laptop arbeitet.

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Frau Lott, Sie haben für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung die Verteilung der mentalen Last (Mental Load) bei Paaren untersucht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

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Auf Basis unserer Umfrage­daten sind es die Frauen, die den größten Teil des Mental Loads tragen. Sie übernehmen überwiegend die Planungs­arbeit, also To-do-Listen erstellen, an Arzt­termine denken, Familien­mitglieder an Arzt­termine erinnern, all das. Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist.

Sie haben auch geschaut, wie sich die Arbeits­zeiten auf die mentale Last auswirken. Was haben Sie heraus­gefunden?

Unseres Wissens nach waren wir die Ersten, die sich für Deutschland die Rolle des Erwerbs­umfangs angeguckt haben – und die Ergebnisse sind tatsächlich sehr spannend. Wir finden höhere Werte bei Frauen im Vergleich zu Männern, wenn diese in Teilzeit arbeiten, was wenig verwunderlich ist, da Frauen ja ihre Arbeitszeit meist aus Vereinbarkeits­gründen reduzieren. Aber auch Frauen in Vollzeit übernehmen den größten Teil der Planungs­arbeit und fühlen sich dadurch stärker belastet als Männer.

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Der Arbeits­umfang spielt für Frauen also keine Rolle. Sie sind also immer mehr belastet?

Es ist jedenfalls mitnichten so, dass die Teilzeit Frauen mental entlasten würde. Und selbst wenn sie in Vollzeit arbeiten, tragen sie trotzdem noch den größten Teil der Planungs­arbeit.

Und wie ist es bei Männern?

Da spielt es keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten oder nicht, ob sie Kinder haben oder nicht. Das bleibt alles einerlei. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig. Egal welche Gruppen wir uns da angucken.

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Überraschen Sie diese Ergebnisse?

Wir wissen aus der internationalen und vor allem der qualitativen Forschung, dass Frauen den größten Teil des Mental Loads stemmen. Diese Zahlen aber – nämlich 62 Prozent Wahrscheinlichkeit bei den Frauen, den größten Teil der Planungs­arbeit zu stemmen, aber nur 20 Prozent bei den Männern – ist wirklich ein bedeutender Unterschied. Damit habe ich nicht gerechnet.

Weniger überraschend, aber dennoch bemerkenswert ist aber eben auch die Doppel­belastung von Frauen. Selbst bei einer Vollzeit­tätigkeit erfahren sie keine Entlastung in der häuslichen Sphäre. Ein Befund, den wir auch aus Studien zu Kinder­betreuung und Hausarbeit kennen.

Sozial­wissenschaftlerin Yvonne Lott leitet seit Juli 2018 das Referat Geschlechter­forschung am Wirtschafts- und Sozial­wissenschaftlichen Institut der gewerkschafts­nahen Hans-Böckler-Stiftung. Gemeinsam mit Paula Bünger, studentische Hilfskraft im Referat, hat sie im August 2023 die Studie zu Mental Load veröffentlicht.

Sozial­wissenschaftlerin Yvonne Lott leitet seit Juli 2018 das Referat Geschlechter­forschung am Wirtschafts- und Sozial­wissenschaftlichen Institut der gewerkschafts­nahen Hans-Böckler-Stiftung. Gemeinsam mit Paula Bünger, studentische Hilfskraft im Referat, hat sie im August 2023 die Studie zu Mental Load veröffentlicht.

Wie ist es denn, wenn Paare Eltern werden?

Wenn Kinder im Haushalt leben, ist es noch wahrscheinlicher, dass die Frauen die Planungs­arbeit übernehmen. Und sie fühlen sich noch stärker emotional belastet, weil durch Kinder ja noch mehr Arbeit da ist.

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Müssten sich nicht Paare eigentlich besser aufteilen, sobald Anforderungen steigen?

Ja. Aber das ist nicht so. Bisher gibt es noch keine Studien, die gezeigt haben, dass ein Mehr an unbezahlter Arbeit, sei es Kinder­betreuung oder Pflege oder Haus­arbeit, dazu führt, dass sich Paare gerechter die Arbeit aufteilen. Es ist wirklich so, dass diese traditionellen Geschlechter-Arrangements in Partnerschaften, in denen die Frau den Löwen­anteil der unbezahlten Arbeit übernimmt, auch über die Zeit sehr fortdauernd sind. Spätestens wenn Kinder in den Haushalt kommen, gibt es eine noch stärkere Traditionalisierung und eine Verstärkung der klassischen Mutterrolle.

Aber warum genau kommt es zu einer solchen Traditionalisierung?

Wir sind alle eingebettet in Gesellschaft und unsere Geschlechter­bilder. Der Mann wird immer noch häufig als Ernährer der Familie gesehen und die Frau erst mal als Sorge­tragende, die guckt, dass die Familie läuft. Diese Rollen­zuschreibung ist stark in den Köpfen verankert, wabert aber meist im Hinter­grund und wird dann besonders wirkmächtig, sobald Kinder im Haushalt sind. Was wir auch gefunden haben, ist, dass diese Geschlechter­bilder häufig auch in den Betrieben vorherrschen.

Was genau bedeutet das dann?

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Vorgesetzte kommen oft mit diesen Rollen­bildern auf ihre Beschäftigten zu. Frauen werden dann nicht ernst genommen, wenn sie nach sieben Monaten Elternzeit in Vollzeit zurück­kommen wollen. Und Männern, die längere Elternzeit nehmen und danach die Stunden reduzieren wollen, wird suggeriert, sich das karriere­mäßig eigentlich nicht erlauben zu können.

Das mag zugespitzt sein, aber wir haben Interviews geführt und genau diese unterschiedlichen Erwartungen an Männern und Frauen in Betrieben rund um das Thema Geburt und Kinder gefunden. Und wenn sich Paare entscheiden, es anders zu machen, ist der Widerstand groß. Leichter ist es, den erwarteten Rollen zu folgen.

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Was aber nicht erklärt, dass Frauen und Männer ihren Anteil am Mental Load sehr unterschiedlich einschätzen. Männer glauben, ähnlich viel zu übernehmen, Frauen hingegen geben an, den Großteil der Last zu tragen. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Das ist eine Diskrepanz, die wir auch schon aus der Forschung kennen, etwa wenn es um die Kinder­betreuung geht. Bei solchen Indikatoren überschätzen sich Männer häufig. Wir haben es also mit einer verzerrten Wahrnehmung zu tun. Was auch daran liegen kann, dass die Aufgaben, die Männer und Frauen übernehmen, sich stark unterscheiden.

Aus der Forschung zur Kinder­betreuung wissen wir zum Beispiel, dass Frauen oft die Aufgaben übernehmen, die zeitlich nicht so flexibel sind, wie Kinder ins Bett bringen, von der Kita abholen. Männer hingegen übernehmen eher Aufgaben, die mit Freizeit zu tun haben, etwa am Wochenende in den Zoo gehen, und nicht diese zeitliche Bindung und so sehr die Belastung haben. Diese Aufgaben­teilung könnte dazu führen, dass die Arbeit unterschiedlich wahrgenommen wird – und damit eine Erklärung für diese Diskrepanz sein.

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Viele Anforderungen im Alltag sind auch selten sichtbar. Wie viel Vorarbeit nötig ist, um einen Einkauf zu erledigen, zum Beispiel: Lebensmittel checken, Speisepläne erstellen, sich über gesunde Ernährung informieren …

Auf jeden Fall. Genauso wie Kinderbetreuung eben sehr vielfältig ist. Man müsste jetzt noch qualitative Forschung anschließen, um zu gucken, wie genau diese Diskrepanz in der Wahrnehmung eigentlich zustande kommt.

Welche Gefahren sehen Sie bei dieser ungleichen Verteilung des Mental Loads?

Zunächst ist es für die Frauen eine zusätzliche Belastung. Gerade auch in der Corona-Pandemie haben wir gesehen, wie stark Frauen unter der Doppel­belastung zwischen Beruf und Familie leiden. Wenn sie keine Erholungs­zeiten haben, ist das schlecht für die Gesundheit. Auch die Partnerschafts­zufriedenheit kann dadurch negativ beeinflusst werden. Und es kann auch Erwerbs­verläufe von Frauen behindern.

Wir als Gesellschaft wollen eigentlich Geschlechter­gerechtigkeit und sollten es nicht hinnehmen, dass Belastungen einseitig bei Frauen bestehen mit all den negativen Folgen.

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Dass Frauen in Vollzeit arbeiten und vielleicht auch noch ihre Karriere voranbringen wollen, ist für viele immer noch problematisch.

Was braucht es, damit Mental Load unter Paaren gerechter verteilt wird?

In unserem Report beziehen wir uns stark auf die Rolle der Betriebe. Es wäre wichtig, dass Betriebe aktive Vaterschaft unterstützen, zum Beispiel indem sich Vorgesetzte nicht halb auf die Hinterbeine stellen, sobald Väter längere Elternzeit beantragen wollen.

Väter sollten auch ganz klare Adressaten der Vereinbarkeits­maßnahmen sein. Bei den Interviews in den Betrieben haben wir gesehen: Sobald über Teilzeit gesprochen wird, sind wir bei den Frauen. Männer haben da gar keine Rolle mehr gespielt. Darum ist es wichtig, gerade Männer in diesen Maßnahmen stärker ins Boot zu holen.

Wichtig ist auch, dass Vorgesetzte im Umgang mit Vereinbarkeits­themen bei Frauen und Männern geschult werden, sie also auch zu sensibilisieren für die vorherrschenden Geschlechterbilder in den Köpfen.

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Und welche politischen Maßnahmen könnten helfen?

Eine Möglichkeit wäre, die Partnermonate bei der Elternzeit zu verlängern. Wir wissen aus den skandinavischen Ländern, dass es positive Effekte hat, wenn Männer die Partner­monate in Anspruch nehmen. Sie sind danach engagierter, etwa in der Kinderbetreuung, und würden dann vermutlich auch mehr von der Planungs­arbeit übernehmen. Wenn wir staatliche Anreize setzen, dass Männer noch länger in Elternzeit gehen, könnte das diese positiven Effekte verstärken.

Läuft es in anderen Ländern besser?

Eine OECD-Studie hat vor einiger Zeit gezeigt, dass in nahezu allen Ländern Paare Arbeiten wie Kinder­betreuung und Hausarbeit ungleich verteilen. Aber in Deutschland ist das noch sehr viel extremer. Wir haben eine sehr hohe Teilzeit­quote bei Frauen und eine niedrige bei den Männern und die Rollenbilder sind hier im Vergleich zu anderen Ländern noch sehr viel traditioneller. Eine Frau ist zwar keine Rabenmutter mehr, wenn sie arbeitet. Teilzeit ist also der akzeptierte Standard. Aber dass Frauen in Vollzeit arbeiten und vielleicht auch noch ihre Karriere voranbringen wollen, ist für viele immer noch problematisch. Das läuft in anderen Ländern mitunter besser.

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