Hameln. Ist es vermessen, wenn Hameln nach Berlin, Venedig oder Paris schaut? Nein, meint der Architekt Fabian Lippert. Er sieht am Weserufer „sehr hohes Potenzial“, das bislang nur ansatzweise genutzt wird. Die Weser sei schließlich nicht irgendein Fluss, meint der Berliner, der sich vor Ort bereits ein Bild gemacht hat und überzeugt ist: In Hameln ist das Bewusstsein für diesen „tollen Raum“ nicht da. Sein Rezept, wie die Promenade herausgeputzt werden kann: Schritt für Schritt – und vor allem erst einmal einen Kopf finden, der „die Leute zusammenbringt“.
Damit gute Erfahrungen gemacht hat Professorin Irene Lohaus, die bereits eine Machbarkeitsstudie für das Weserufer in Rinteln erstellt hat. Die Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin befasst sich mit der Gestaltung von Flussräumen und ist an der Hochschule Dresden tätig. Sie kennt die Problemlage: Naturschutz, Hochwasserschutz und Denkmalschutz kollidieren mit dem Wunsch, ans Wasser zu kommen, unterschiedlichste Interessen müssen unter einen Hut gebracht werden. Wie das gelingen kann, sieht sie zurzeit in Paderborn, wo Experten an einen Tisch gebracht werden, Wasserbauingenieure sowie Planer, und mittendrin: ihre Studenten. Dies sei gerade in früher Phase ein guter Schritt, den Prozess in Gang zu bringen. „Die Potenziale und die Grenzen des Machbaren sind gut vereinbar“, ist Lohaus überzeugt. Weiterhelfen könnten auch Fördertöpfe, die es beispielsweise für die Aufwertung von Gewässern oder den Hochwasserschutz gibt.
Beispiel Verden: Auch dort gab es kaum einen Zugang zum Wasser, dort ist es die Aller. Im Frühjahr ist der erste Teil des neuen Uferparks mit integriertem Wasserspielplatz eingeweiht worden, der auch den Hochwasserschutz für die Altstadt integriert. Das Büro Lohaus + Carl hatte bei dem Architektenwettbewerb für den Alleruferpark den ersten Preis gewonnen.
Hameln hat sich den Weg zum Fluss selbst verbaut, meint ihr Architekten-Kollege Lippert. Die Brücke zum Werder, die Insel selbst: gelungen. „Doch es gibt keine Blickbeziehung zum Wasser – die Kaimauer ist zu hoch.“ Das Argument Hochwasserschutz lässt er nicht gelten – „da gibt es andere Möglichkeiten wie temporäre Spundwände, das kann man sich in anderen Städten wie Köln anschauen“. Eine Gelegenheit, im Zusammenhang mit der anstehenden Sanierung der Kaimauer über ein anderes Modell nachzudenken? Holzstege wie im schweizerischen Rapperswill vermitteln auf den ersten Blick ein anderes Erscheinungsbild als die grauen Steine, die wir am Ufer vorfinden. Über 300 000 Euro waren bereits vor über einem Jahr als Kosten einer Kaimauer-Sanierung genannt worden – inzwischen geht die Stadt offenbar von einer höheren Summe aus.
An Ideen für eine Promenade, die diesen Namen auch verdient, mangelt es dabei selbst im Rathaus nicht. Schon das im Juni 2007 erschienene städtische Entwicklungskonzept befasst sich ausführlich mit dem Ziel, das „Ansehen der Weser und ihre Funktion im Stadtraum zu stärken“. Im gleichen Papier das Eingeständnis: „Der weiteren Promenade bis zum Hafen fehlt ein attraktives Gestaltungskonzept.“ Von einer geplanten Steganlage zwischen Thiewall- und Münsterbrücke ist die Rede – geschehen ist nichts. Im Gegenteil: Die Promenade macht teilweise einen jämmerlichen Eindruck, wird vernachlässigt, ist zugewuchert und ungepflegt.
Offenbar geht in Hameln die Schere zwischen Visionen und Bedenken so auseinander, dass am Ende nicht einmal die kleinste Idee realisiert wird. In den Köpfen schwirren sie dabei schon herum: Kleine Fischerboote aus Holz, „mindestens acht Stück“, kann sich beispielsweise Jörg Menze, Geschäftsführer der „Flotte Weser“ im Promenadenbereich am Schiffsanleger vorstellen. In der Saison, „mindestens ein halbes Jahr lang“, könnten dort Händler Souvenirs an die Touristen verkaufen. Auch das schlichte Fahrkartenhäuschen für die Weserschiffe würde in Gestalt eines solchen Verkaufsstandes sicherlich mehr hermachen… Und dem Anleger selbst würde eine optische Auffrischung ebenfalls guttun.
Es muss ja nicht gleich ein Badeschiff wie in Berlin sein. Für Lippert – der beim Winterbadeschiff bei der Planung und der Bauleitung mitgearbeitet hat – allerdings ist es ein gutes Beispiel, wie die anfängliche Skepsis der Behörden überwunden wurde. Das Badeschiff, bekannt durch die WM-Übertragungen im ZDF, hat sich zum Vorzeigeprojekt gemausert. „Es entspricht dem Image Berlins ,arm, aber sexy‘“, so der Architekt, der auch weiß: „Das ist nicht 1:1 auf eine kleinere Stadt übertragbar.“ Gleichwohl fehle in Hameln ein Angebot für jüngere Leute. Gute Anknüpfungspunkte seien Sumpfblume und Melounge, gute Voraussetzungen die angrenzende Hochschule Weserbergland: „Junge Leute könnten den Uferstreifen bevölkern.“ Mit Biergärten wie dem am Hotel Stadt Hameln erreicht man dieses Ziel offenkundig nicht – obwohl in idealer Lage, scheint er nicht gerade übervölkert.
Temporäre Angebote, die den Ort ins Gespräch bringen – das könnte nach Meinung Lipperts auch eine Flussbühne bieten. Eine Tribüne dafür könnte dabei gut am Ufer erstellt werden, mit weitem Flussblick in Zeiten ohne Veranstaltungen. Und schließlich ist die Weser jener Ort, den der Rattenfänger genutzt haben soll, um die Stadt von den Nagern zu befreien. Nur dient der Fluss bislang nicht als verbindendes Element, mit dem Treiben des Rattenfängers auch das Weserpotenzial auszuschöpfen.
„Spannend“ findet die Idee einer Flussbühne auch Anke Rettkowski, Musical-Produzentin („Rats“, „Münchhausen“). Sie weiß aus anderen Städten: Wenn irgendwo Wasser ist, nutzen die Leute das. Seitdem sie auch in Bodenwerder ein Musical auf die Bühne bringt, fällt ihr besonders deutlich auf, dass selbst dort mehr an der Weser geboten wird als in Hameln, beispielsweise das Lichterfest. Als Bootsfahrerin weiß sie, „wie toll es ist, wenn man da anlegen kann“. Eine fest installierte Bühne, auf der auch „Rats“ gezeigt werden könnte, im Sommer Konzerte und Festivals – „das wäre der Hammer“. Allerdings: Für die Sicherheit der Darsteller müsste gesorgt sein. „Kein Problem“, sagt Lippert: „Da reichen auch Handläufe in Hüft- und Kniehöhe.“ Rettkowski könnte sich vorstellen, dass eine Badeplattform zur Bühne umfunktioniert wird. Und an heißen Tagen könnte man sie auch zum Baden nutzen.
Eine Flussbühne für die neue Musicalstadt Hameln: Die Produzenten von „Päpstin“ und „Friedrich“ wollen im nächsten Jahr „Die Schatzinsel“ inszenieren. Das wäre ein Auftakt…