Kommen Sie, Sie wissen nicht, was ein Schusterjunge mit einem Hurenkind zu tun hat? Also gut. Sagen wir mal so: Sie sind beide unbeliebt. Nicht, dass wir uns falsch verstehen, wir haben nix gegen die Jungs eines Schusters und auch nicht gegen die Kinder von Huren. Aber wir haben was gegen Schusterjungen und Hurenkinder. So ist das bei uns Zeitungsleuten nun mal. Wir finden eben, dass beide nicht so toll aussehen.
Von einem Schusterjungen sprechen wir übrigens, wenn die erste Zeile eines neuen Absatzes in der letzten Zeile einer Spalte beginnt. Mögen wir nicht. Noch schlimmer: Wenn beim Umbruch die letzte Zeile eines Absatzes unglücklicherweise in die nächste Spalte rutscht, dann spricht man von einem Hurenkind. Gar nicht hübsch. Man möge uns verzeihen, dass wir heute noch derart derb über das Handwerk unserer Zunft sprechen. Das haben uns übrigens die Setzer und Metteure gelehrt, als es sie noch gab.
Heutzutage werden ja keine Buchstaben mehr handwerklich gesetzt und auch nicht mehr gesetzte Artikel auf einer Zeitungsseite mettiert, also umbrochen. Das machen wir heute anders, also – ganz anders. Was uns Menschen des Wortes aber geblieben ist, sind die alten Begriffe der Alten – die machen zuweilen Spaß. Hinzu kommt aber auch noch unsere irgendwie schon mysteriös klingende neue Zeitungssprache. Von der konnten die Alten noch keine Ahnung haben, hatten die einfach noch nicht drauf.
Und ja, wir gestehen: Wenn uns jemand zuhören würde, er würde uns nicht verstehen. Fremden müsste es wohl wie ein verschwurbeltes Morse-Alphabet aus fernen Galaxien vorkommen, wenn wir Zeitung machen und technische Absprachen über Messenger kurz und knapp kommunizieren. Uns in Abkürzungen ergehen, scheinbar abgehackte Infos austauschen.
Da, wo wir verständnisvoll lächelnd nicken, würden sich Nicht-Zeitungsmacher an die Stirn tippen. Tägliche Hektik, tägliches Prozedere, tägliche Praxis – die wir freilich nur intern verwenden. Eigentlich. Denn heute nehme ich Sie mal mit auf einen Rundgang durch unser Redaktionssprech.
Fangen wir damit an, was wir alles Tolles können, zum Beispiel teasern, tickern und titeln, spiegeln können wir auch – also Zeitungsseiten elektronisch planen –, was nichts mit kontern zu tun hat, das würde man nämlich machen, wenn man ein Bild spiegelverkehrt abdrucken würde. Machen wir ja nicht. Dafür fietschern wir gern – hübsch eingedeutscht, das Wort – wir schreiben also bunt und nachrichtlich und hintergründig in einem – ein Feature eben.
Wir produzieren aber auch Füße, manchmal bunte Füße. Da fragt schon mal ein Kollege in die Messenger-Runde: „Hat noch jemand einen Fuß für mich?“ Gegenfrage: „Einen großen oder einen kleinen Fuß?“ Das kann nämlich entscheidend sein, ob klein oder groß, ob mit Bild oder ohne. Eine dritte Kollegin antwortet: „Die Hühner fallen als Fuß aus, die laufen als Auf auf 16.“ Will heißen: Die Geschichte über die Hühner steht als Aufmacher auf Seite 16.
Und was ist nun mit dem Fuß? Neue Frage im Messenger: „Leerstand auf 17?“ Knappe Antwort: „Mach 18.“ Das bedeutet: Die Geschichte über den Leerstand soll als Aufsetzer, als Fuß, unten auf der Seite 18 stehen.
Wenn ein Kollege schreibt „Lass mich mal dran …“ hat das nix Anzügliches an sich, dann ist unter Kollegen stets gemeint, dass er das Bearbeitungsrecht für eine bestimmte Seite benötigt. Dort baut er dann entweder um, oder ganz neu. Nicht mit Lego und auch keine Mensa. Er verändert das Layout der Zeitungsseite.
Wenn es heißt „HM 1 Auf ready to go“, bedeutet es, dass der Print-Aufmacher von der Hameln Seite 1 online gehen kann. Und wenn geschrieben steht „Die Woche ist abschussbereit“, dann kann die samstags erscheinende Seite „Die Woche“ in die Druckerei.
Manchmal erstickt auch bei uns Kommunikation in sich selbst: Fragt einer: „Wie schnell brauchst Du das?“ Antwortet der andere: „Fragt ein Journalist nach Geschwindigkeit …“ Anderes Beispiel: „Wo sind die Fotos vom Thema xy?“ „Welche meinst Du?“ Antwort: „Die besten …“
Wer Journalist ist, sollte übrigens immer über den Bruch wollen. Also mit der Überschrift über dem Knick stehen, weil oben ist ja wichtiger.
Apropos Aufmacher: Wenn ich abends die Redaktion verlasse, verabschiede ich mich vom Titelseiten-Spätdienst stets mit dem Satz: „Melde Dich, wenn der Papst die Kanzlerin erschießt …“ Ist nicht böse gemeint, heißt nur: Wenn etwas Weltbewegendes passiert, lass uns die Titelseite ändern …