Da sitze ich wieder auf dem Sofa. Mit einem Kakao in der einen und Keksen in der anderen Hand schaue „Kevin – allein zu Haus“. Der Film, in dem der achtjährige Kevin sich wünscht, seine Familie würde verschwinden, damit er das Haus für sich ganz alleine hat.
Er wünscht sich: Ruhe. Keinen Weihnachtsstress, keine aufgeregte Familie. Kevins Wunsch geht in Erfüllung. Die Familie vergisst ihn – und er hat das Haus für sich ganz alleine. Pure Freude. Keine Quälgeister zum Fest. Endlich mal machen – und lassen – können, was man eben will.
Haben nicht auch wir uns in den vergangenen Jahren immer mal etwas Ähnliches gewünscht – also etwas mehr Ruhe und weniger Stress an Weihnachten? Wir haben so manche Tradition, die wir vielleicht schon seit Jahrzehnten gepflegt haben, in Zweifel gezogen, ja vielleicht sogar verflucht. Wir hatten auf vieles einfach keine Lust mehr. Wir wollten wie Kevin einfach weniger Stress zur Weihnachtszeit. Und zack, da haben wir‘s. In diesem Jahr haben wir unsere Ruhe. Denn vieles, was die Weihnachtszeit eigentlich ausmacht, gibt es in diesem Jahr nicht: keine Weihnachtsfeiern, kein Adventssingen, keinen lebendigen Adventskalender, kein Glühweinschlürfen, keinen Weihnachtsmarkt. Große Familienzusammenkünfte sind kaum möglich, alles bleibt in diesem Jahr in kleinem Kreis. Reisen, Besuche, Treffen mit Freunden, Kollegen und der weiteren Verwandtschaft wird es in diesem Jahr nicht geben. Wir haben unsere Ruhe, wie Kevin.
Doch macht uns dieses ruhigere Weihnachtsfest ohne die gewohnten Traditionen und ohne den sonst so üblen Stress wirklich glücklicher? Ich für meinen Teil muss ganz klar sagen: Mir fehlt etwas in diesem Jahr. Zwar ist die Weihnachtsstimmung bei mir schon seit gefühlt Mitte November ausgebrochen, doch irgendwie ist eben alles nicht so schön wie sonst.
Übrigens: So geht es ja schließlich auch Kevin im Film. Zwar genießt er die Zeit ohne Familie, doch schnell merkt er: Er ist einsam. Und so wünscht er sich seine Familie auch ganz schnell wieder zurück. Seine Demut ist sogar so groß, dass er sich alleine mit seiner Mutter zufriedengeben würde. Bei uns ist es, denke ich, derzeit genauso. Wir durchleben eine Zeit, in der unser Verlangen nach den alljährlichen Weihnachtstraditionen so groß wird, dass wir uns schon mit einem Glühweinabend mit Freunden zufriedengeben würden. Die Hoffnung darauf bleibt auf jeden Fall …
Um seine Hoffnung zu bewahren, versucht Kevin im Film, die Ruhe zu bewahren. Er versucht, alles noch schöner als in den Jahren zuvor zu machen. So schmückt er das Haus und den Weihnachtsbaum – auch wenn außer ihm ja keiner da ist – in der Hoffnung auf Besserung, in der Hoffnung darauf, dass sein Wunsch nach seiner Familie in Erfüllung geht, oder zumindest der Wunsch nach seiner Mutter.
Ich denke, das machen wir genauso. Wenn ich abends durch mein Heimatdorf Börry schlendere, habe ich das Gefühl, in diesem Jahr ist besonders viel geschmückt worden. Fast jedes Haus ist in einem Meer aus Lichterketten, Schwibbögen, Leuchtnetzen, Weihnachtsmännern und Lichtertieren versunken. Und das in den verschiedensten Farben: Von warm-weiß bis bunt ist alles dabei. Mit Weihnachtsmusik in den Ohren verbreiten diese Lichter Hoffnung. Hoffnung auf ein Weihnachten im nächsten Jahr. Ein Weihnachten mit allem drum und dran – also auch mit Traditionen, die wir eben noch als lästig empfunden hatten.
Eines ist sicher: Diese Traditionen werde ich genießen, mehr noch, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Selbst auf den alljährlichen Weihnachtsstress freue ich mich wieder. Das ist meine Hoffnung auf das Happy End. Und das gibt es nun mal auch im Film, als Kevins Familie genau am Morgen des ersten Weihnachtstages wieder vor der Tür steht. Erst seine Mutter, dann die ganze Familie. Ein schönes Happy End, das es hoffentlich in naher Zukunft auch für uns gibt.