Die Sonne blinzelt vom Horizont herüber, wirft ihre durch nichts zu beschreibende, gleißendes Licht gewordene Schönheit flach bis ins Wohnzimmer hinein. Am Weinglas perlt es – so soll es sein – hinab, im Glas spiegelt sich das Gartenleben.
Katze Amy liegt im Schatten zwischen den Rosen, das Blau der Vergissmeinnicht und das Gelb der Forsythie umrahmen unseren Uwe, der am Holzfass-Stehtisch hockt, das unterm Walnussbaum Platz gefunden hat. Die halbe Welt in einem einzigen Weinkelch.
Und ja, liebe Leser, wir halten uns an die Regeln, kommen uns nicht zu nah, der Uwe und ich, von wegen Corona und verschiedene Haushalte. Danke der Nachfrage. Sie werden sich möglicherweise wundern, aber doch: Es gibt tatsächlich Leser wie zum Beispiel die – mit Verlaub – etwas ältere Dame Lore N. aus Bad Pyrmont, die sich um uns sorgen – Dankeschön! Es ist ja wirklich auch ein gutes Gefühl, wenn man spürt, dass sich unsere Leser Gedanken um uns machen, weil sie gerne lesen, was wir so alles zu berichten haben.
Aber wir können alle beruhigen: Schließlich kuscheln Uwe und ich nicht, sondern wir trinken etwas zusammen und philosophieren dabei übers Leben, wie es sich uns so zeigt. Zugegeben, uns fehlt möglicherweise ein Stückchen des Verständnishorizonts eines Immanuel Kant. Was jedoch gar nichts Schlimmes ist, denn plötzlich befinden wir uns in guter Gesellschaft mit Sokrates und dessen demütigem Eingeständnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Doch liegen nicht gerade im Unverständnis der Reiz und die Herausforderung, mehr wissen zu wollen? Liegt nicht wiederum genau darin der Fortschritt des Geistes? Und ist nicht eigentlich der Wissende, der seine Erkenntnisse nicht teilen mag, der arme Thor? Wohl schon …
Eigentlich treffen wir uns ja in der Stadt an „unserem“ Tresen, doch aktuell ist dies bekanntermaßen nicht möglich. So kommen wir denn im Garten zusammen. Wer an Heiligabend und an Ostern die Familie coronabedingt nur auf der Terrasse treffen kann, der sollte auch Uwe nur dort empfangen. Und bei schönem Wetter ist‘s ja total schön hier – und siehe da, nach ein, zwei Gläschen kommen denn auch so wunderbare Weisheiten dabei heraus, wie Uwe das Jahr zwei nach dem Corona-Ausbruch tiefsinnig beschreibt: „Hey, hör‘ ma‘, wennste Dir dat allet so überlegst, wat da so mit uns und überhaupt mit alle Mann so passiert is‘, es is‘ ja nich‘ wie sonst, aber es is‘ halt wie es is‘.“ Kann man so sagen.
Es ist halt, wie es ist. Dolle Erkenntnis. Aber es gibt sie ja durchaus, diese stets und überall wiederkehrenden Sätze, die viele beim Smalltalk einfach so benutzen, ohne dass diese sich abnutzen würden. Es gehört zu unserem alltäglichen Sprechen dazu, Floskeln zu nutzen. Aber ich kann Sie beruhigen: Es ist nicht weiter schlimm, Floskeln tun nicht weh.
Doch Sprache entwickelt sich ja weiter. Weil sich das Leben weiterentwickelt, Gewohnheiten verändern, Ansichten neu justiert werden. Oma und Opa haben anders gesprochen als unsereins, und unsere Kinder sprechen auch wieder anders. Uwe spricht ja übrigens auch anders – und ganz ehrlich, mit „Ey, hör‘ ma‘“ wird man auch nicht auf Anhieb Redakteur. Aber bei Sprache gilt, andere gewähren und sich selbst darauf einzulassen.
Wieder mal modern ist zum Beispiel das Gendern. Gab es schon mal, war damals gefühlt so halb erfolgreich, deshalb musste irgendwann auch noch die zweite Halbzeit gespielt werden. Von Spielern und Spielerinnen. Mit vielen Besserwissern und Besserwisserinnen. Oder besser Besserwissenden. Vor Zuschauerinnen und Zuschauern und Zuhörern und Zuhörerinnen. Ich weiß zwar, dass ich nichts weiß – aber ich glaube zu wissen, dass es auf die Fragen, ob und wie gegendert werden sollte oder müsste, nicht nur die eine, wahre Antwort gibt. Es gibt vielerlei Blickwinkel darauf und diverse Sichtweisen – divers ist in diesem Zusammenhang übrigens auch gut … – und am Ende vielleicht einen goldenen Mittelweg, der situativ mit Toleranz in alle Richtungen anwendbar ist. Nur mal so am Rande: Zum Beispiel wäre eine Zeitungsüberschrift „Schnelle Impfung für Ärzte, Ärztinnen, Erzieher und Erzieherinnen“ doch recht umständlich, jetzt mal ganz einfach aus der Praxis geplaudert. Es braucht also kluge Ideen. Zumindest kreative.
Uwe hat auch noch einen Gedanken, den er teilen möchte: „Wenn wa denne dat mit Mann und Frau klar ham, wat machen wa denne mit dem divers?“ Fragt‘s, nimmt einen tiefen Schluck und starrt minutenlang ins Leere … Schweigen, Wein trinken, Zigarette anzünden, bloß nicht stören … Und dann, plötzlich, ruft Uwe: „Ey, ich hab‘s. Is‘ doch klar, wir machen dann nur noch Party mit diversen Puppen – dat gibt wenigstens keen Ärger …“
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