Von Hans-Joachim Weiß
Hameln. Um 19.51 Uhr gestern Abend war die Entscheidung gefallen: Der erste Bauabschnitt zur Neugestaltung der Fußgängerzone, die Sanierung des Pferdemarktes, kann in Angriff genommen werden. Und zwar mit hundertprozentigem Natursteinpflaster „im Sinne einer hochwertigen Gestaltung und eines dauerhaften Materials im zentralen Bereich der historischen Altstadt“, wie es in der Beschlussvorlage der Verwaltung für die von Oberbürgermeisterin Susanne Lippmann eigens einberufenen Sonderratssitzung heißt. 25 Ratsmitglieder stimmten mit Ja (die aus SPD, FDP und Grünen bestehende Mehrheitsgruppe sowie drei Vertreter der Bürgerliste), 13 mit Nein (CDU und zwei Mitglieder der Bürgerliste).
Doch bis es letztlich zur Abstimmung kam, lag ein hartes Stück Arbeit vor den Ratsmitgliedern. In nahezu jedem Redebeitrag versuchten sich die Vertreter aller im Rat vertretenen Parteien an Schuldzuweisungen und Polemik zu überbieten. Da wurden sich in Pingpong-Manier die Fehler der Vergangenheit um die Ohren geschlagen, tief in die Kiste längst vergangener Entscheidungen gegriffen und jedwede Verbal-Attacke von der einen oder anderen Seite „richtig gestellt“, „entschieden zurückgewiesen“ oder „ergänzend erklärt“. Obwohl die Neugestaltung des Pferdemarktes im Mittelpunkt stand, mussten Abstimmungsverhalten der einen oder anderen Fraktion zu Themen wie ECE, dritter Dezernent oder Ruderverein herhalten, um die eigenen Argumente zu untermauern.
Dabei hatte Herbert Rode als Vorsitzender des Ausschusses für erneuerbare Energien, Planen und Bauen vor Eintritt in die Tagesordnung eindringlich an seine Ratskollegen appelliert: „Lassen Sie uns nicht über die Vergangenheit sprechen, einen einheitlichen Beschluss herbeiführen und endlich anfangen“. Doch die Hoffnung des Sozialdemokraten erfüllte sich nicht. Schon der erste Redner, CDU-Fraktionschef Claudio Griese, bemühte die Vergangenheit, um die Rolle rückwärts der Christdemokraten zu erläutern. Hatte sich die CDU im Februar 2009 noch mit der Mehrheitsgruppe für eine Neugestaltung ausgesprochen, „so zwingt uns die Haushaltslage heute zu einem anderen Handeln“, begründete Griese, griff einzelne Ratsmitglieder der Mehrheitsgruppe an und wurde fortan zum Prügelknaben sämtlicher Redner anderer Coleur. Auch, weil er Bedenken äußerte, dass die Verwendung von Natursteinpflaster am Pferdemarkt die ausstehenden Erneuerungsarbeiten in Oster- und Bäckerstraße beeinträchtigen könnte, „weil am Ende dort das Geld nicht mehr reichen könnte, zur Aufrechterhaltung der Gleichwertigkeit ebenfalls Naturstein verlegt werden muss.“
Ursula Wehrmann (Grüne) nannte das Verhalten der CDU ein „populistisches Ablenkungsmanöver, um sich aus der Verantwortung zu stehlen.“ Rüdiger Zemlin (FDP) betonte, dass Granit für eine Stadt wie Hameln kein Luxus sei und Uwe Schoormann (SPD) unterstellte Griese „Nickeligkeiten“. „Erst hieß es ja, dann ja aber, nun nein – auf Ihren Wunsch haben wir die Kosten auf fünf Millionen gedeckelt und nun sollen wir auf Zuschüsse verzichten und eine Million Euro Vorkosten durch den Schornstein jagen“, schimpfte der Gruppensprecher, um sich dann an den CDU-Fraktionschef direkt zu wenden: „Wann, Herr Griese, sollen wir uns dann eine Sanierung leisten?“ Zudem unterstellte der Sozialdemokrat dem Christdemokraten, als Kreistagsabgeordneter versucht zu haben, „auf kaltem Wege dem Landkreis die zugesagten 600 000 Euro Förderung absprechen zu wollen.“ Und Wolfgang Meyer (Grüne) erklärte in Richtung CDU: „Mit Ihrem politischen Schlingerkurs haben sie sich selbst zum Verlierer gemacht“.
Fritz Rieger, der sich zu einer Sanierung der Fußgängerzone bekannte, und sich von der CDU im Stich gelassen fühlte, ließ Griese wissen: „Lassen Sie es mich mit meinen Worten sagen: Sie haben jemanden schwanger gemacht und sich dann verpieselt.“ Über diesen Spruch mussten selbst die Christdemokraten schmunzeln, die ansonsten den Angriffen des politischen Gegners wenig hinzuzusetzen hatten. Thorsten Sander ließ wissen, dass es nicht bei den geplanten fünf Millionen Euro bleiben werde, weil unter anderem die erforderliche Leitungsverlegung durch die Stadtwerke weitere Kosten erfordere, die von der Mehrheitsgruppe unerwähnt blieben. „Am Ende wird alles sechs Millionen Euro kosten – mindestens“, stellte der CDU-Politiker in Aussicht.
Baudezernent Eckhard Koss betonte hingegen, dass in dem Ausschreibungsergebnis für den Bauabschnitt Pferdemarkt alle Kosten enthalten seien: „Für das Pflaster, den Unterbau einschließlich Frostschutzschicht, ergänzendes Grün, Blindenleitlinie sowie sonstige Ausstattung wie Bänke und Spielgerät“.
Unterdessen ist die Verwaltung Stimmen entgegengetreten, die geplante Bauzeit für die Fußgängerzone von dreieinhalb Jahren sei zu lang. „Wir könnten das auch schneller machen“, sagte Stadtsprecher Thomas Wahmes. Das würde jedoch bedeuten, dass gleichzeitig die Bereiche Pferdemarkt, Oster- und Bäckerstraße aufgerissen werden müssten – die ganze Innenstadt wäre eine Großbaustelle. „Das können wir dem Einzelhandel, den Anliegern und auch den Touristen nicht zumuten“, hieß es aus dem Rathaus.
In einem solchen Szenario wäre das Einkaufen in der Fußgängerzone praktisch unmöglich, Touristen müssten sich andere Wege suchen und Veranstaltungen des Stadtmarketings ausgelagert werden. Deshalb sei es für die Stadt undenkbar, die Innenstadt für ein Jahr komplett lahmzulegen. Ein solches Vorgehen könnte „den Todesstoß für den Einzelhandel und den Tourismus bedeuten. Für Hameln wäre das eine Katastrophe, die nicht ernsthaft gewollt sein könne.
Deshalb verfolge die Stadt das Ziel, möglichst schonend und bei laufendem Betrieb in der Fußgängerzone zu bauen. Dabei sollen die Belastungen für Einzelhändler und Anlieger so gering wie möglich halten werden. Deshalb werde auch der erste Bauabschnitt, der Pferdemarkt, noch in einzelne Bereiche unterteilt und nach dem Prinzip einer Wanderbaustelle gearbeitet.
Die Erneuerung der gesamten Fußgängerzone in einem großen Schritt ist nach Meinung der Verwaltung auch eine Kostenfrage. Deshalb wehrt man sich im Rathaus gegen den Vergleich mit der Stadt Wien, wo die Sanierung der Innenstadt schneller gegangen sei. Die österreichische Hauptstadt habe auf einer nur unwesentlich größeren Fläche 18 Millionen Euro verbaut – Hameln aber müsse mit fünf Millionen Euro auskommen.